Spanien nach der Wahl: Zerreißprobe

Das Ergebnis der Parlamentswahlen kann Spanien zerreißen. Die vom spanischen Fernsehen RTVE veröffentlichte Landkarte, auf der die Resultate der einzelnen Wahlbezirke ablesbar sind, färbte sich am Sonntag abend flächendeckend blau, in der Farbe der rechtskonservativen Volkspartei (PP). Ausnahmen gab es nur in drei Regionen Andalusiens, wo sich die sozialdemokratische PSOE durchsetzen konnte, sowie in Katalonien und im Baskenland. Hier spielten die traditionellen spanischen Parteien erneut keine Rolle. Statt dessen wurde in ganz Euskadi die Linksallianz Unidos Podemos stärkste Kraft, während sich in Katalonien ihr regionaler Ableger En Comú Podem in zwei von vier Bezirken durchsetzte. In den anderen beiden Gebieten gewann die Republikanische Linke Kataloniens (ERC), die für eine Unabhängigkeit von Spa­nien eintritt.

Das außerordentlich gute Ergebnis von En Comú Podem – wie schon im Dezember wurde das Bündnis der katalanischen Linken insgesamt stärkste Kraft in der autonomen Region – spiegelt die Hoffnungen wider, die sich für viele Menschen mit dieser Kandidatur verbunden hatten. Im Wahlkampf hatten die Linken versprochen, den Katalanen die Möglichkeit einer Volksabstimmung über ihre Unabhängigkeit von Spanien zu eröffnen, auch wenn man selbst eine Abspaltung ablehnt. »Wir wollen nicht, dass ihr geht, aber wir sind Demokraten und wollen, dass ihr das selbst entscheiden könnt«, hatte Spitzenkandidat Pablo Iglesias bei einer Kundgebung in Barcelona erklärt. Das motivierte auch im Baskenland viele Wähler, auf diese Weise zu versuchen, die Konfrontation mit Madrid zu beenden.

Nun bleibt jedoch die PP an der Regierung, die der franquistischen Ideologie des einzigen und einheitlichen Spanien verhaftet ist und sogar leugnet, dass es im Königreich überhaupt verschiedene »Nationen« gibt. Damit ist absehbar, dass es aus Madrid keinerlei Zugeständnisse gegenüber den nach größerer Eigenständigkeit strebenden Regionen geben wird. Damit aber ist die Zündschnur am Pulverfass wieder in Brand gesetzt worden.

Schon am Wahlabend erhoben auch bislang gemäßigte katalanische Politiker die Forderung, nun auch ohne Vereinbarung mit der spanischen Zentralregierung die Abspaltung Kataloniens voranzutreiben. Die Wähler hätten bewiesen, dass Spanien nicht reformierbar sei. Die radikalen Befürworter einer Unabhängigkeit werden so durch diejenigen verstärkt, die eigentlich mit weniger zufrieden wären, wenn sie nicht länger die Visage von Ministerpräsident Mariano Rajoy ertragen müssten. Der jedoch wird im Ernstfall auch gewaltsam versuchen, eine Abspaltung Kataloniens zu verhindern. Und selbst wenn er darauf verzichtet – die geltende spanische Verfassung erteilt dem Militär den ausdrücklichen Auftrag, die »Einheit Spaniens« zu verteidigen. Eine brandgefährliche Vollmacht.

Erschienen am 28. Juni 2016 in der Tageszeitung junge Welt