Späte Ermittlungen

Weil die Justiz ihres Landes bis heute die Verbrechen des Franco-Regimes nicht verfolgen will, setzen Angehörige der Opfer des spanischen Faschismus ihre Hoffnungen nun in die Gerichte Argentiniens. Seit drei Jahren ermittelt Richterin María Servini de Cubría in Buenos Aires gegen mehrere hochrangige Funktionäre des Regimes, so Francos letzten Arbeitsminister Fernando Suárez. Ausgelöst wurde das Verfahren durch eine Klage mehrerer Opferverbände, die unter anderem von den Gewerkschaften CCOO und CGT sowie linken Organisationen unterstützt werden.

 

In erster Linie geht es in Buenos Aires um »die letzten Kugeln des Franquismus«, wie die Tageszeitung Diario de León formulierte. Im Sommer 1975, wenige Monate vor dem Tod des Diktators, wurden elf Menschen wegen Protesten zum Tode verurteilt. Das Kabinett begnadigte Ende September des Jahres sechs von ihnen, genehmigte jedoch einstimmig die Hinrichtung der übrigen fünf. Einen Tag später wurden in Burgos der 33jährige Ángel Otegui und in Barcelona der 21jährige Juan Paredes erschossen, die der baskischen ETA angehört hatten. Bei Madrid wurden der 22jährige José Luis Sánchez Bravo, der 27jährige Ramón García Sanz und der 24jährige José Humberto Baena Alonso exekutiert, die sich der Revolutionären Patriotischen Antifaschistischen Front (FRAP) angeschlossen hatten.

Nach Jahrzehnten des Verschweigens versuchte 2008 der spanische Richter Baltasar Garzón, die Verbrechen des Faschismus vor Gericht zu bringen. Er bezifferte die Zahl der unter der Diktatur Erschossenen auf bis zu 114000 Menschen. Gegen das Verfahren klagten jedoch die ultrarechte Beamtenvereinigung »Manos Limpias« (Saubere Hände) und die neofaschistische Kleinpartei Falange Española unter Verweis auf ein Amnestiegesetz von 1977, in dem »die Verbrechen beider Seiten« seit dem Franco-Putsch von 1936 für straffrei erklärt wurden. In der Folge wurde Garzón 2010 von seinen Aufgaben in der spanischen Justiz suspendiert.

Nach dem Scheitern dieses Verfahrens wurde im selben Jahr die Klage in Buenos Aires eingereicht. Zunächst wollte die zuständige Richterin die Ermittlungen zu den Akten legen, wurde aufgrund eines Einspruchs der Kläger jedoch 2011 von einem Berufungsgericht zur Wiederaufnahme verpflichtet. Am vergangenen Donnerstag sollten die Zeugenbefragungen beginnen. Diese sollen per Videoübertragung aus dem Konsulat Argentiniens in Madrid erfolgen. Der Auftakt ging jedoch schief. Die argentinische Vertretung in der spanischen Hauptstadt habe aus Buenos Aires keine formelle Information über den Vorgang erhalten, hieß es. Deshalb müsse die Anhörung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Das Schreiben der Richterin sei wohl »irgendwo auf dem Weg verlorengegangen«, kommentierte Ana Messuti, eine von acht Rechtsanwälten der Klägerseite, gegenüber dem Onlinemagazin Público. Sie selbst habe die Vorladung ihrer Mandanten am 11. April erhalten. In der vergangenen Woche habe man sich dann an das Konsulat gewandt, um die Teilnahme zu bestätigen. »Unsere Überraschung war groß, als wir feststellen mußten, daß das Konsulat die entsprechende, für den Fortschritt des Prozesses so wichtige Benachrichtigung nie erhalten hat«, sagte die Juristin der Nachrichtenagentur Europa Press. Das stelle »eine erneute Mißhandlung« der Opfer dar, die seit Jahrzehnten darauf warteten, ihre Aussagen machen zu können, kritisierte sie. Wann die Videoübertragung nachgeholt wird, steht noch nicht fest.

Möglich ist, daß Richterin Servini internationale Haftbefehle gegen die Beschuldigten erläßt, auch wenn nicht damit gerechnet wird, daß Madrid diese überstellen würde. Betroffen sind insgesamt neun Spanier, unter ihnen drei Exminister, zwei frühere Richter und vier ehemalige Mitglieder der Sicherheitsdienste, denen Strafen von bis zu 30 Jahren Haft drohen. Zu den bekanntesten gehört José Ultrera Molina. Dieser ist Schwiegervater des heutigen spanischen Justizministers Alberto Ruiz-Gallardón, der wiederum verantwortlich für die Verschärfung des Strafrechts gegen Demonstranten ist und derzeit ein völliges Verbot von Abtreibungen anstrebt.

Ebenfalls beschuldigt ist der frühere Regierungsminister Rodolfo Martín Villa, eine der zentralen Figuren der »Transición« zwischen 1976 und 1979. Ihm wird das Massaker von Vitoria (Álava) im März 1976 zur Last gelegt, wenige Wochen nach dem Tod Francos. Damals war die Militärpolizei brutal gegen streikende Arbeiter vorgegangen und hatte fünf von ihnen ermordet. Trotzdem hatte Villa bis 2003 hohe politische Ämter bekleidet, um anschließend in das Management mehrerer Unternehmen zu wechseln, darunter der Sparkasse von Madrid oder der italienischen Endesa.

Gemeinsam verfaßt mit Carmela Negrete. Erschienen am 29. April 2013 in der Tageszeitung junge Welt