Sieht so ein Sieg aus? Abwägen nach den Regionalwahlen in Venezuela

Ist es ein Sieg, wenn eine Partei drei Viertel aller Provinzen und 80 Prozent aller Regierungsbezirke für sich gewinnen kann? Das ist das Ergebnis der Regionalwahlen, bei denen am 23. November in Venezuela über die Gouverneure der Bundesstaaten, die Bürgermeister in den Bezirken und die Abgeordneten in den Regionalparlamenten abgestimmt wurde.

Tatsächlich konnte die vom Staatspräsidenten Hugo Chávez geführte Vereinte Sozialistische Partei (PSUV) 17 der 23 zur Wahl stehenden Staaten gewinnen. Mit 264 der 328 zur Wahl stehenden Rathäuser konnte das revolutionäre Lager seine Dominanz sogar weiter ausbauen.

Aber gegen diese erfolgreichen Ergebnisse stehen mehrere schwere Niederlagen. Zu erwarten war, dass die Opposition ihre 2004 errungene Vorherrschaft in der erdölreichen Grenzprovinz Zulia und der Tourismus-Region Nueva Esparta, zu der die Ferieninsel Margarita gehört, verteidigen könnte. Dass es ihr aber auch gelingen konnte, das Amt des Oberbürgermeisters der Hauptstadt Caracas sowie die Regierung des an Caracas grenzenden Bundesstaates Miranda zu erobern, war für die bolivarische Bewegung ein echter Schock. Die Rückkehr der Rechten an wichtige Machtpositionen weckte böse Erinnerungen an die dramatischen Jahre 2002 und 2003, als der damalige Oberbürgermeister von Caracas, Alfredo Peña, und der ebenfalls rechte Gouverneur von Miranda, Enrique Mendoza, ihre Positionen ausnutzten, um einen schmutzigen Krieg gegen die revolutionäre Regierung des Präsidenten Chávez zu entfesseln. Dazu gehörten auch der Staatsstreich vom April 2002 und die Erdölsabotage im Dezember 2002 und Januar 2003.

Auch der neue Oberbürgermeister von Caracas, Antonio Ledezma, war in die damaligen Versuche verwickelt, Chávez zu stürzen. So beteiligte er sich während der kurzen Herrschaft der Putschisten am 11. April 2002 an der Besetzung des Rathauses von Caracas. Heute gehört er auch dem „Nationalen Widerstandskommando“ an, einem Bündnis der radikalen Konterrevolutionäre, von dem immer wieder gewaltsame Ausschreitungen ausgehen. Sein Gesinnungsgenosse, der neue Gouverneur von Miranda, Henrique Capriles Radonski, gehört ebenfalls zu den Putschisten von 2002. Er war beteiligt, als während des Putsches ein Mob aufgehetzter Faschisten versuchte, die kubanische Botschaft in Caracas zu stürmen.

Wes Geistes Kind diese Herren sind, zeigte sich auch unmittelbar nach ihren Wahlerfolgen in Caracas und Miranda. Während sich die Wahlsieger lächelnde Masken aufsetzten und Chávez Zusammenarbeit anboten, begannen ihre Leute, in Zentren der Basisorganisationen einzudringen und zu versuchen, sie zu räumen. Bereits am Dienstag nach der Wahl tauchten von den neuen Machthabern in Miranda entsandte Personen in Baruta in einem Zentrum für Integrale Diagnose (CDI) auf, einem Krankenhaus-ähnlichen Stützpunkt der Gesundheitsmission Barrio Adentro, um den im Erdgeschoss untergebrachten örtlichen Kommunalen Rat zu vertreiben. Anwohner riefen besorgt bei dem Rundfunksender YVKE Mundial an, weil sie auch eine Vertreibung der im Obergeschoss untergebrachten kubanischen Ärzte befürchteten. Mitarbeiter der Alphabetisierungskampagne Mission Robinson und die sich an Mittelschüler richtende Mission Ribas wurden in La Urbina und Mariche aus ihren Räumen vertrieben, während dem Kommunalen Rat von Maca bis Mittwoch Zeit gegeben wurde, seine Unterkunft zu räumen.

„Jeder Versuch, das zurückzudrängen, was sich das Volk erobert hat, wird Konflikte schaffen, denn das Volk ist organisiert. Das Volk wird das nicht zulassen!“ warnte der unterlegene Kandidat der PSUV für den Bürgermeisterposten im Bezirk Sucre, Jesse Chacón. Diosdado Cabello, bisher Gouverneur von Miranda, wies darauf hin, dass die Regierung von Miranda den früheren Sitz der Regionalregierung aufgegeben und dort eine Universität eingerichtet habe. Nun werde versucht, die Studierenden wieder aus dem Gebäude zu vertreiben. „Stellen Sie sich vor, was in Los Teques los sein wird, wenn sie wirklich versuchen sollten, 5 000 Studierende der Unefa zu vertreiben, damit sie es sich gemütlich machen können“, warnte Cabello.

Vorerst gescheitert sind hingegen die Hoffnungen Ledezmas, den unter den Jugendlichen in Caracas populären Fernsehsender Ávila-TV zu einem regierungsfeindlichen Kanal umzubauen. Der Sender, dessen Programm vor allem aus populärer Musik und einem jugendgerechten Programm besteht, war vom scheidenden Oberbürgermeister Juan Barreto eingerichtet worden. Ledezma hatte nach seinem Sieg angekündigt, bereits ein „gutes Team“ an der Hand zu haben, um auf Ávila TV „ein gutes Programm“ zu senden. Das wurde von den meist jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vermutlich zu Recht als Drohung empfunden. „Hier kommst du nicht rein! Wir sprechen mit den Gemeinden, nicht mit euch“, sagte Ávila-Moderatorin Leomerly Salismey in die laufenden Kameras. Und ihr Kollege Jorge Vásquez fügte hinzu: „Die Typen, die du in Ávila TV reinsetzen willst, kannst du in … den Kanal RCTV Internacional packen, wenn sie die dort brauchen können. Hier jedenfalls kommen sie nicht rein!“ Sie riefen zu Kundgebungen auf, um den Sender gegen Übergriffe der neuen Machthaber zu verteidigen. Die scheidende Stadtverwaltung übergab den Kanal dann Anfang der Woche schnell an das venezolanische Ministerium für Kommunikation und Information (MinCI) und entzog ihn somit Ledezmas Zugriff. So können Sendungen wie „El entrompe de Falopio“, die vermutlich einzige feministische Sendung des venezolanischen Fernsehens, weiterlaufen.

Für die revolutionäre Bewegung kann der Verlust von Caracas und Miranda ein heilsamer Schock gewesen sein, denn Illusionen in eine Unumkehrbarkeit des revolutionären Prozesses haben sich in Nichts aufgelöst. Zugleich haben Venezuelas Sozialisten wieder an Stärke gewonnen. Gegenüber dem Referendum vom Dezember 2007, als die von Präsident Chávez vorgeschlagene Verfassungsreform knapp abgelehnt wurde, haben sie mehr als eine Million Stimmen hinzugewinnen können, während die nach wie vor zersplitterte Opposition 300 000 Stimmen einbüßte.

Die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) konnte gegenüber den Regionalwahlen von vor vier Jahren Stimmen hinzugewinnen, in einigen Bundesstaaten konnte sie ihre Stimmenzahl sogar verdoppeln und verdreifachen. Trotzdem zeigte sich PCV-Generalsekretär Oscar Figuera nicht zufrieden. Dort, wo linke Bündnisse in Konkurrenz zur PSUV angetreten waren, blieben die Ergebnisse hinter den Erwartungen zurück. Vor allem aber beunruhigt die venezolanischen Kommunisten, dass die Opposition sich in den Bundesstaaten Carabobo, Miranda und Zulia sowie in Caracas durchsetzen konnte, wo sich ein Großteil der venezolanischen Arbeiterklasse konzentriert. Diese Situation müsse genau analysiert werden, denn wenn man den Sozialismus aufbauen wolle, müssten die Arbeiter an der Spitze dieses Prozesses stehen, forderte Figuera.

Erschienen am 5. Dezember 2008 in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit