Sektenmäßig

In der Linkspartei stricken einige offensichtlich bereits an den Legenden über die Ursachen einer Niederlage bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin. Nicht etwa die unsoziale Regierungspolitik der vergangenen zehn Jahre, in denen sich die Berliner Linkspartei als brave Steigbügelhalterin der SPD erwiesen hat, soll schuld sein, sondern der 13. August.

Dabei braucht es noch nicht einmal die Mauer. Am 13. August feierte Fidel Castro seinen 85. Geburtstag. Die Linke gratulierte ihm mit einem höflichen Glückwunschschreiben. Keine Nachricht wert, eigentlich. Drei Tage später bemerkte jedoch der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Philipp Mißfelder, den Brief. Seine wutschnaubende Presseerklärung dokumentierte junge Welt am folgenden Tag. Etwas länger brauchte Bild, die erst am 20. August das mittlerweile eine Woche alte Schreiben für kommentierenswert hielt: »Ist das Satire oder Wahnsinn?« Wiederum einen Tag später, am gestrigen Sonntag, machte der Tagesspiegel mit diesem Nicht-Thema seine Titelseite auf. Von der Zeitung befragt, bekundete der Berliner Linke-Landesvorsitzenden Klaus Lederer, ihm stehe es »bis hier oben«.

Natürlich muß es ihn ärgern, wenn ihn die Wahlkämpfer anderer Parteien und die meisten Medien ständig nach abgestandenem Unsinn fragen, um seine Partei in den Ruch alter SED-Machenschaften zu rücken. Dabei haben er und seine Regierungskollegen in Berlin sich doch so bemüht: Die Mieten steigen, mehr als jedes dritte Kind unter drei Jahren ist auf Hartz IV angewiesen, und die Arbeitslosigkeit stagniert auf hohem Niveau. Aber was bringt das alles, wenn man ständig über die Mauer und Fidel Castro sprechen muß? »Es drängt sich der Eindruck auf, daß hier einige ihre sektenmäßigen Rechnungen auf dem Rücken der wahlkämpfenden Landesverbände austragen wollen«, wettert er in dem nicht gerade für Sympathien gegenüber der Linkspartei bekannten Blatt.

Wen meint Herr Lederer? Offenbar nicht die Wahlkonkurrenten von SPD, Grünen, CDU und ähnlichen. »Sektenmäßige Rechnungen« wittert er offenbar in seiner eigenen Partei. Höfliche Grüße zum Geburtstag sind also bereits ein Affront gegen die »wahlkämpfenden Landesverbände«, also Berlin und Mecklenburg-Vorpommern?

Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Auch in Berlin hat die Linkspartei lange von dem durch das Agieren der Mehrheit der Bundespartei entstandenen Profil gezehrt, eine Systemopposition für soziale Gerechtigkeit zu sein. Die Solidarität mit Kuba, die sich zum Glück nicht nur in harmlosen Glückwunschschreiben, sondern vor allem in der aktiven Arbeit der Arbeitsgemeinschaft »Cuba Sí« und vieler Mitglieder der Linkspartei ausdrückt, war und ist Teil dieses Profils. Das aber ist Lederer und den seinen egal, denn es stört sie bei ihrem Anbiederungskurs an die Parteien, die Verständnis für das noch immer geöffnete US-Folterlager Guantánamo, die Putschisten in Honduras oder die politisch Verantwortlichen für den schmutzigen Krieg in Kolumbien haben.

Erschienen am 22. August 2011 in der Tageszeitung junge Welt