Schottland entscheidet

Schottland entscheidet am heutigen Donnerstag, ob es Teil des Vereinigten Königreichs bleiben oder künftig ein eigenständiger Staat sein will. Die Urnen sind von sieben bis 22 Uhr Ortszeit geöffnet, mit Ergebnissen wird jedoch erst am Freitag morgen gerechnet. Prognosen werde es vorher nicht geben, teilten die Fernsehsender und Meinungsforschungsinstitute mit. Der Aufwand sei zu hoch. Gerechnet wird mit einer Beteiligung von bis zu 93 Prozent der Abstimmungsberechtigten.

 

Der in Lahore geborene und in London lebende Historiker und Publizist Tariq Ali hofft darauf, daß eine Mehrheit mit »Ja« stimmen wird. In der Tageszeitung The Guardian schrieb er bereits im März, Schottland habe es »zum ersten Mal seit 1707 in der Hand, seine Souveränität, Ehre und Würde zu erreichen«. Nur als unabhängiges Land habe es die Möglichkeit, sein »volles politisches und kulturelles Potential« zur Geltung zu bringen. »Das ist nicht immer der Fall, wenn neue Staaten geboren werden. Manchmal wird mit Recht der Zusammenbruch Jugoslawiens zitiert, um das Gegenteil zu zeigen. Aber Jugoslawien wurde vom Internationalen Währungsfond (IWF) mit desaströsen Konsequenzen zerschlagen: Ultranationalismus, Bürgerkrieg und ethnische Säuberung, was durch eine deutsche Intervention zur Aufteilung des Landes und durch die folgende Bombardierung durch die NATO verschärft wurde.« Eine bessere Analogie für Schottland sei Norwegens friedliche Trennung von Schweden 1905.

Die schottische Linke ist sich nicht darüber einig, ob sie eine Sezession unterstützen soll. Während sich Anhänger der Schottischen Sozialistischen Partei und der Grünen, Trotzkisten und linke Gewerkschafter zur »Radical Independence Campaign« zusammengeschlossen haben und unter dem Slogan »Britannien gehört den Reichen – Schottland kann unser sein« für die Unabhängigkeit werben, wollen die Schottischen Kommunisten, die regionale Sektion der KP Britanniens, mit »Nein« stimmen. Die Sezession werde »die Position der arbeitenden Menschen gegenüber dem Big Business und den Banken schwächen, nicht stärken«. Da Schottland keine eigene Währung und keine eigene Zentralbank haben wolle, werde die Politik auch nach einer Abspaltung weiter von der britischen Regierung gesteuert, warnte Parteichef Tommy Morrison.

Teilen der Friedensbewegung geht es vor allem um den Abzug der britischen »Trident«-Atomraketen, die bislang auf U-Booten in der Marinebasis Faslane stationiert sind. Regierungschef Alex Salmond hat angekündigt, daß ein unabhängiges Schottland von London den Abzug der Waffen verlangen werde. Die »Kampagne für nukleare Abrüstung« ruft deshalb zur Stimmabgabe für das »Ja« auf. »In einem atomwaffenfreien Schottland zu leben, wird alles andere besser machen«, wirbt die Bewegung auf ihrer Homepage. Zur Ankündigung Salmonds, in der NATO bleiben zu wollen, sagt die Kampagne nichts.

Erschienen am 18. September 2014 in der Tageszeitung junge Welt