Schottland bleibt britisch: Wieder die soziale Frage

Die Schotten haben »nein« gesagt. Am Ende überwog offenbar die Unsicherheit über das, was kommen würde, gegenüber den doch vage gebliebenen Versprechungen der schottischen Regierung. Tatsächlich war bis zuletzt relativ unklar geblieben, was sich für die Schotten durch ihre Eigenständigkeit konkret ändern würde. Die von der Scottish National Party (SNP) gestellte Regierung wollte in der EU und in der NATO bleiben, das britische Pfund und die Queen als Staatsoberhaupt behalten. Lediglich die Forderung nach Abzug der britischen Atomwaffen aus schottischen Häfen und die Hoffnung auf eine sozialere Politik als die in London praktizierte waren greifbare Perspektiven auf Veränderung. Offensichtlich reichte das den meisten letztlich doch nicht als Begründung für die Schaffung eines neuen Staates – zumal die unionistische Propaganda geschickt die Angst vor möglichen wirtschaftlichen Problemen schürte. Diese Ängste konnte die SNP nicht beseitigen, denn eine Überwindung des Kapitalismus stand und steht nicht auf ihrer Agenda.

 

Entscheidend ist aber: Die Frage einer Unabhängigkeit Schottlands wurde über das Referendum am Donnerstag bis auf weiteres friedlich geklärt. Eine letztlich doch deutliche Mehrheit votierte für den Verbleib im Vereinigten Königreich, und die unterlegene Seite akzeptierte diesen Ausgang. Vieles spricht dafür, daß es im umgekehrten Fall auch so geschehen wäre. Das zeigt, wie mit solchen Konflikten umgegangen werden muß.

Demgegenüber fährt die spanische Regierung mit ihrer Weigerung, den Katalanen die Durchführung eines ähnlichen Referendums zu ermöglichen, einen brandgefährlichen Kurs. Am Freitag wollten die Abgeordneten des katalanischen Parlaments ein Gesetz über Volksbefragungen verabschieden, auf dessen Grundlage Ministerpräsident Artur Mas dann für den 9. November die Abstimmung über eine Unabhängigkeit Kataloniens einberufen will. Madrid hat jedoch bereits angekündigt, diese Abstimmung mit allen »legalen« Mitteln verhindern zu wollen. Innenminister José Manuel García-Margallo droht sogar damit, die Autonomie Kataloniens aufzuheben. Wer in einer solchen Weise jeden Kompromiß unmöglich macht, trägt die Verantwortung für eine Eskalation des Konflikts.

Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung und alle anderen Gruppen in Europa, die über die Schaffung neuer Staaten nachdenken, sollten sich das Ergebnis in Schottland aber ebenfalls sehr genau ansehen. Auch in Katalonien will der bürgerliche Teil der »Separatisten« in der EU bleiben – doch warum sollte es für die Katalanen vorteilhaft sein, die Unterdrücker aus Madrid durch die Unterdrücker aus Brüssel auszutauschen? Warum sollten sie sich vom König befreien, um sich Angela Merkel an den Hals zu werfen? Wer nationales Pathos pflegt, ohne Antworten auf die sozialen Fragen geben zu können, kommt nirgendwohin.

Erschienen am 20. September 2014 in der Tageszeitung junge Welt