Schlag gegen Schmuggler

Einkaufen macht in Caracas keinen Spaß. In den Filialen der privaten Supermarktketten fehlen immer wieder bestimmte Waren, etwa Toilettenpapier oder Maismehl. In den staatlichen Geschäften sind diese dagegen im Normalfall zu bekommen. Doch diese sind völlig überlaufen, und die Warteschlangen an den Kassen sind endlos. Manche Familien haben deshalb begonnen, ihren Wochenendausflug in die Einkaufszentren des zum Ernährungsministerium gehörenden »Red de Abastos Bicentenario« zu verlegen. Während sich ein Familienmitglied mit dem Einkaufswagen in die Schlange einreiht, strömen die anderen aus und sammeln die benötigten Waren ein. Nach mehreren Stunden verlassen alle dann mit ihren Einkäufen das Geschäft.

 

Das »Netz der Versorgungszentren Bicentenario« – der Begriff steht für den 200. Jahrestag der Unabhängigkeit Venezuelas, der 2011 begangen wurde – entstand ab 2010 durch die Verstaatlichung von zwei Supermarktketten. Seine Shopping Malls verfügen über ein Angebot, das sich in der Vielfalt kaum von Einkaufszentren in Europa unterscheidet. Auch Produkte, über deren Knappheit in den venezolanischen Medien lamentiert wird, sind dort in der Regel zu finden.

Hintergrund der mal nur behaupteten, mal tatsächlichen Warenverknappung sind nach Ansicht der Unternehmerverbände und der Opposition die in Venezuela geltenden Preisbeschränkungen für Waren des Grundbedarfs. Hinzu kommt die Währungskontrolle, mit der die venezolanische Regierung 2003 auf die Kapitalflucht reagiert hatte. Noch am Dienstag (Ortszeit) betonte der venezolanische Präsident Nicolás Maduro, man werde an der Devisenkontrolle festhalten. Eine Aufhebung der Preisbindung und der Einschränkungen beim Geldumtausch, wie sie die Unternehmerverbände fordern, werde Venezuela nur zurück in die Zeiten des Neoliberalismus treiben. Der Staatschef beschwor in diesem Zusammenhang die Erinnerung an den Februar 1989, als Preiserhöhungen in Caracas einen Volksaufstand ausgelöst hatten, der von der damaligen sozialdemokratischen Regierung blutig niedergeschlagen wurde. Statt dessen rief Maduro dazu auf, die Ergebnisse einer für Ende November geplanten »Internationalen Wirtschaftskonferenz über das Modell des Übergangs zum produktiven Sozialismus« abzuwarten. »Eröffnen wir die Debatte und hören wir aufmerksam zu. Wenn es einen angemessenen und nützlichen Vorschlag gibt, werden wir ihn übernehmen, anwenden und in die Gesamtstrategie des Übergangs einbauen«, kündigte er an.

Veränderungen sind notwendig, denn vor allem kleine Handels- und Transportunternehmen leiden unter den Beschränkungen. So berichtete die Inhaberin einer kleinen Importfirma in Caracas gegenüber junge Welt, daß sie kaum noch Aufträge bekomme, weil staatliche wie private Unternehmen aus Devisenmangel auf Importe verzichteten. Auch mehrere Fluggesellschaften schränkten in den vergangenen Monaten ihre Verbindungen nach Venezuela ein, weil die Behörden aufgrund von Liquiditätsengpässen offene Rechnungen erst mit großer Verspätung beglichen. Zugleich grassiert in den für die Zuteilung der Devisen zuständigen Institutionen die Korruption.

In den vergangenen Tagen richteten die Behörden ihre Aufmerksamkeit jedoch vor allem auf den Schmuggel von Waren in die Nachbarländer. Vor allem die Grenze zu Kolumbien ist zu einem Umschlagplatz geworden – in Venezuela billig erworbene Güter und Lebensmittel werden im Nachbarland angeboten – zwar deutlich teurer als in Venezuela, aber immer noch billiger als normalerweise in Kolumbien. Seit dem 11. August führen Militär, Polizei und Nationalgarde deshalb in der Region intensive Verkehrskontrollen durch, die Grenzübergänge sind nachts geschlossen. Seither wurden dort mehr als 500 Tonnen Lebensmittel beschlagnahmt, berichtete der Gouverneur des Grenzstaates Táchira, José Vielma, am Dienstag (Ortszeit) im Gespräch mit dem privaten Fernsehsender Globovisión.

Begleitet wird diese Kampagne durch eine Gesetzesverschärfung. Am Montag traten neue Bestimmungen in Kraft, die es verbieten, Medikamente und Waren des Grundbedarfs im Ausland zu verkaufen. Schon der Transport innerhalb Venezuelas mit diesem Ziel ist untersagt. Bei Verstößen drohen sechs bis 14 Jahre Haft.

Aufgespürt werden sollen solche Schmuggler auch über eine weitere Verschärfung der Kontrollen in den Supermärkten. Bereits jetzt muß bei jedem Einkauf die Nummer des eigenen Personalausweises angegeben werden. Ab Ende des Jahres wird nun auch noch der Fingerabdruck registriert. In allen Supermärkten sollen Erfassungsgeräte aufgestellt werden, wie sie die Venezolaner schon aus den Wahllokalen kennen. Erfaßt werden soll dadurch, ob jemand auffällig viel einkauft. »Das System wird nichts rationieren, sondern ganz im Gegenteil: Es ist ein System, um uns von den Schmugglern zu befreien, damit das Volk frei in jeden Supermarkt gehen kann und dort seine Produkte findet«, warb Maduro in der vergangenen Woche bei der Einweihung einer neuen Sporthalle für das Projekt.

»Die Regierung muß Panzer vor jedem Supermarkt auffahren lassen, um die Fingerabdruckgeräte aufzubauen«, tönte Oppositionsführer Henrique Capriles am Dienstag. Er rief die Venezolaner auf, die Kontrolle in den Supermärkten zu verweigern. Auf solche Drohungen muß Maduro aber kaum noch Rücksicht nehmen: Die Regierungsgegner sind intern zerstritten und spielen seit Monaten in der politischen Debatte kaum noch eine relevante Rolle. Oscar Schemel, der Präsident des Meinungsforschungsinstituts Hinterlaces, erklärte deshalb im Interview mit dem Privatsender Vene­visión, der größte Widersacher von Präsident Maduro sei dieser selbst. In der Bevölkerung habe der Anteil derjenigen, die sich weder für noch gegen die Regierung positionieren wollen, stark zu Lasten der Oppositionsanhänger zugenommen. Doch der Staatschef müsse jetzt angemessene und nachvollziehbare Entscheidungen treffen.

Erschienen am 28. August 2014 in der Tageszeitung junge Welt