junge Welt, 20.02.2017

Sand im Getriebe

Mehrere tausend Menschen haben am Samstag in München gegen die »Sicherheitskonferenz« (Siko) demonstriert, die am Wochenende im Nobelhotel »Bayerischer Hof« stattfand. Den dort versammelten »Hauptverantwortlichen für das Flüchtlingselend, für Krieg, Armut und ökologische Katastrophen« warfen die Protestierenden vor, es gehe ihnen nur »um die Aufrechterhaltung ihrer weltweiten Vorherrschaft und um die Profit­interessen multinationaler Konzerne«. Man gehe auf die Straße, um »Sand und nicht Öl im Getriebe« der Kriegsmaschinerie zu sein. Mit einem Demonstrationszug und einer Menschenkette wurde der von der Polizei hermetisch abgeriegelte Veranstaltungsort symbolisch umzingelt.

Insgesamt beteiligten sich an den Aktionen der Friedensbewegung nach Angaben der Veranstalter rund 4.000 Menschen. Die Polizei sprach von 1.900 Teilnehmern. Die Proteste wurden nicht nur kleingeredet, sondern auch behindert. So wurde ein Bus, der Demonstranten aus Nürnberg nach München bringen sollte, aufgehalten. Letztlich konnten die Angereisten nur noch an der Abschlusskundgebung auf dem Marienplatz teilnehmen. Begründet wurde die Polizeiaktion dem Vernehmen nach damit, dass der Bus in einen gesperrten Sicherheitsbereich gefahren sei – was angesichts der Absperrungen kaum vorstellbar war. Die Pressesprecher der Münchner Polizei wollten gegenüber junge Welt jedoch nicht zur Aufklärung beitragen.

Insgesamt 4.000 Polizisten waren am Wochenende zum Schutz der »Sicherheitskonferenz« aufgeboten worden. Schon in Augsburg erwarteten Beamte die Friedensaktivisten an der Regionalbahn. »Sind Sie die Alt-68er, die zum Demonstrieren nach München fahren?« fragte ein Beamter die Gruppe. »Wir haben die Anordnung, größere Gruppen zu melden.«

»Stellt euch vor, was dieses Großaufgebot wieder kostet«, empörte sich während der Demonstration ein Sprecher vom Lautsprecherwagen des Jugendblocks aus, zu dem sich Aktivisten der SDAJ, der ver.di-Jugend und anderer Verbände zusammengeschlossen hatten. Auf Schildern und Transparenten präsentierten sie Rechnungen, wie man die für das Treffen der Kriegstreiber ausgegebenen Kosten besser hätte verwenden können: »Einmal Siko gleich 91.743 neue Schulbücher«.

Die Spitze der Demonstration bildeten ein gutes Dutzend Motorradfahrer des Klubs »Kuhle Wampe« sowie ein ausrangierter Feuerwehrwagen, der »das Feuer der Brandstifter löschen« sollte und als fahrende Bühne diente. Von dem knallroten Fahrzeug aus hatte die Kabarettistin Lisa Fitz bei der Auftaktkundgebung aufgerufen, den Aussagen von Politikern und Medien zu misstrauen. Speziell an ihre Zuhörerinnen gerichtet, erklärte sie: »Wer nur Frau mit Herz liest, ist am Ende eine Frau ohne Hirn!«.

Lautstark machten während der Demonstration mehrere hundert Flüchtlinge vor allem aus Afghanistan und Sierra Leone auf ihre Situation aufmerksam und forderten ein Bleiberecht für alle Schutzsuchenden. Der Theologe Eugen Drewermann erinnerte bei der Abschlusskundgebung an Kurt Tucholsky: »Soldaten sind Mörder!« Krieg könne niemals ein normaler Beruf sein, wie es Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen darzustellen versuche. Sevim Dagdelen, Sprecherin für internationale Beziehungen der Linksfraktion im Bundestag, kritisierte die Unterstützung der Bundesregierung für die Diktatur von Recep Tayyip Erdogan in der Türkei. Es sei ungeheuerlich, dass Berlin und Ankara eine »intensivere Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung« vereinbart hätten, denn »für Erdogan bedeutet Kampf gegen den Terror nichts anderes als Krieg gegen die Kurden!«

Erschienen am 20. Februar 2017 in der Tageszeitung junge Welt