Ruhe im Ramadan?

Gegen die Stimmen der Kommunisten und der meisten Grünen hat die französische Nationalversammlung am Dienstag abend für eine Fortsetzung der Bombenangriffe auf Libyen gestimmt. Mit der regierenden UMP von Staatschef Nicolas Sarkozy stimmten auch die oppositionellen Sozialisten dem Krieg zu. Premierminister François Fillon räumte indirekt jedoch ein, daß die Fortführung des seit dem 19. März geführten Krieges nicht mehr von der UN-Sicherheitsratsresolution 1973 gedeckt ist. Deren »ersten Ziele« wie der Schutz der Bevölkerung vor den Regierungstruppen seien erreicht worden. Nun ziehe sich »die Schlinge um Ghaddafis Hals« zu: »Jetzt muß die internationale Gemeinschaft sich unbeugsam zeigen.« Seine Landsleute kann er damit immer weniger überzeugen. Jüngsten Umfragen zufolge lehnt mehr als die Hälfte der Franzosen die Aggression gegen Libyen mittlerweile ab.

Doch Kontakte

Entgegen ersten Dementis gab Frankreichs Außenminister Alain Juppé am Dienstag doch »Kontakte« mit der Regierung in Tripolis zu, schränkte gegenüber dem Rundfunksender France Info jedoch ein: »Heute sind das noch keine echten Verhandlungen.« Bereits am Montag hatte Verteidigungsminister Gerard Longuet beide Seiten zu Verhandlungen aufgefordert: »Sie können nun miteinander sprechen, weil wir ihnen zeigen, daß es keine Lösung durch Gewalt gibt.« Sobald die verfeindeten Parteien verhandeln, würden die Raketenangriffe eingestellt werden. Der Minister schloß auch nicht mehr aus, daß Ghaddafi im Land bleiben könne: »Er wird in einem anderen Raum seines Palastes leben, mit einem anderen Titel.« In der arabischen Presse ist darüber hinaus zu lesen, daß Frankreich offenbar deutliche Zeichen an den selbsternannten Übergangsrat der Rebellen sendet, daß der Konflikt nicht ewig dauern könne. Auch in den Redaktionsstuben in Kairo, Algier und Beirut glaubt man derzeit fest an Verhandlungen. Beide Seiten sollen sich bereits heimlich in wechselnden europäischen Hauptstädten getroffen haben, hieß es in den vergangenen Tagen in arabischen Zeitungen. Spekuliert wird über einen Waffenstillstand zumindest für die Dauer des islamischen Fastenmonats Ramadan, der um den 1. August herum beginnt. Gegenüber der in London erscheinenden arabischsprachigen Tageszeitung Al-Shaq Al-Awsat sagte der hohe Rebellenoffizier Jamaa Ibrahim am Mittwoch, daß seine Truppen während dieses Monats am liebsten nicht kämpfen wollen. Sie hätten ohnehin schon schwere Versorgungsengpässe und kaum noch Wasser und Lebensmittel.

Angesichts solcher Widersprüche kritisierte der 2010 aus dem aktiven Dienst ausgeschiedene General Vincent Desportes, der sich in Frankreich auch als Militärtheoretiker einen Namen gemacht hat, die mangelhaften strategische Planungen im Elysee-Palast. Bis heute sei unklar, was eigentlich das Ziel des Einsatzes sei. Frankreich habe die politische und militärische Befähigung der Rebellen über- und die Ausdauer von Ghaddafi und seinen Anhängern unterschätzt, sagte Desportes am Sonntag der Zeitung Journal du Dimanche.

Tatsächlich sitzt der libysche Staatschef Muammar Al-Ghaddafi noch immer fest im Sattel. Zwar hat seine Regierung die Kontrolle über die Hälfte des Landes eingebüßt, doch die Rebellen kommen trotz aller Waffenhilfe aus dem Westen und den Golfstaaten kaum voran. Immer noch stehen sie über 100 Kilometer von der libyschen Hauptstadt entfernt, und der Widerstand wird zunehmen, je näher die Aufständischen der Metropole kommen. Noch wichtiger ist: Ghaddafi mag große Teile des Landes verloren haben, aber die Gebiete im dicht besiedelten Westen, in denen die große Mehrheit der Bevölkerung lebt, stehen weiter unter seiner Herrschaft.

50.000 gegen die NATO

Offensichtlich hat der Revolutionsführer noch zahlreiche Anhänger, die ihn stützen. In der vergangenen Woche richtete sich Ghaddafi in der Wüstenstadt Sabha, rund 500 Kilometer südlich von Tripolis, mit eine Rede an 50000 Demonstranten, die gegen die Aggression der NATO protestierten. Die Hauptstadt ist bis auf die Detonationen der NATO-Bomben ruhig geblieben. Nennenswerten Protest oder gar den vom Westen erhofften Aufstand gibt es nicht.

Auch die in New York sitzende Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), die im Februar zu den Einpeitschern einer Eskalation des Konflikts in Libyen gehört hatte, rückt mittlerweile von den Aufständischen ab. In einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung wirft die Organisation den Rebellen die Plünderung von Wohnungen, Geschäften und medizinischen Einrichtungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten vor. »Die Oppositionsführer sollten alle Übergriffe durch Rebellen stoppen und bestrafen«, forderte HRW-Direktor Joe Stork. »Die verantwortlichen Rebellen haben die Pflicht, Zivilisten und deren Eigentum zu schützen, vor allem Krankenhäuser.« Erstmals griffen auch westliche Medien diese Kritik auf, während sie solche Berichte bislang als »Ghaddafi-Propaganda« abgetan hatten. Auf die rassistischen Morde an schwarzafrikanischen Immigranten durch die libyschen Rebellen, über die unabhängige Beobachter seit Monaten berichten, ging HRW jedoch nicht ein.

Verfaßt gemeinsam mit Gerrit Hoekman
Erschienen am 14. Juli 2011 in der Tageszeitung junge Welt