»Gepanzerte Wahl«

Zehntausende Soldaten und Polizisten sollen am Sonntag jede Störung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Honduras verhindern. Fast auf den Tag genau fünf Monate nach dem Putsch und dem Sturz von Präsident Manuel Zelaya sollen die Menschen in dem zentralamerikanischen Land über dessen Amtsnachfolger abstimmen, als ob nichts passiert wäre.
Die in der zweitgrößten Stadt des Landes, San Pedro Sula, erscheinende Tageszeitung Tiempo spricht dagegen von »Wahlterrorismus«. Der Staatsapparat lege am Vorabend der Wahlen ein Ausmaß von »Gewalt und Hysterie« an den Tag, wie man es noch nie vor einer Abstimmung erlebt habe. 16000 Soldaten, 14000 Polizisten und 5500 Reservisten des Militärs sollen Proteste der Widerstandsbewegung im Keim ersticken. Zugleich wurde der Ausnahmezustand »für alle Aktivitäten, die im Zusammenhang mit dem Wahlprozeß stehen«, erklärt. Dadurch darf das Militär jede Art von Ausrüstung kaufen, die es für seine Operationen »zur Sicherung der freien Stimmabgabe« zu benötigen meint. Prompt haben die Streitkräfte in den USA unter anderem einen Panzerwagen für zwölf Millionen Dollar, 10 000 Handgranaten und 5000 Tränengasprojektile erworben, informierte die Menschenrechtsorganisation COFADEH. Sie zeigt sich angesichts der »sich Tag für Tag verschlechternden Menschenrechtslage« alarmiert und spricht von einer »neuen Welle der Morddrohungen, politischer Verfolgung, illegaler Verhaftungen und Folterungen«. Außerdem seien Fahrzeuge ohne Kennzeichen mit schwer bewaffneten und vermummten Personen in den Hochburgen der Widerstandsbewegung unterwegs.

Erst am Montag morgen wurde ein pensionierter Lehrer, der als Führungspersönlichkeit der Widerstandsbewegung im Süden des Landes galt, verschleppt. Sein Sohn berichtete gegenüber einem örtlichen Rundfunksender, die Entführer seien Polizisten und Armeeangehörige gewesen. Stunden später wurde die Leiche des Opfers in der Ortschaft Las Casitas, westlich der Hauptstadt Tegucigalpa, aus einem »schwarzen oder dunkelblauen« Auto in den Straßengraben geworfen, wie Zeugen aussagten.

Die angespannte Atmosphäre wurde am Donnerstag weiter durch Berichte angeheizt, wonach das Wahlgeheimnis bei der Abstimmung nicht gewährleistet sei. Wie die Agentur Prensa Latina unter Berufung auf Sprecher der Widerstandsbewegung mitteilte, habe das Oberste Wahlgericht (TSE), die für die ordnungsgemäße Durchführung der Abstimmung zuständige Instanz, beschlossen, die den Wähler ausgehändigten Stimmzettel zu numerieren. Die Nummer der Stimmzettel solle in den Wählerverzeichnissen festgehalten werden, so daß bei der Auszählung der Stimmen nachvollziehbar wird, wer für welche Partei gestimmt hat, aber auch, ob jemand mit einer Parole gegen den Putsch seinen Stimmzettel ungültig gemacht hat.

Während das TSE auf die Vorwürfe bislang nicht reagiert hat, bestätigte die den Putschisten verbundene Tageszeitung El Heraldo die Vorwürfe indirekt bereits am 6.November. »Ein neues System der Übertragung der Auszählungs- und Wahlergebnisse, Veränderungen in der Mechanik des Wahlmaterials mit vollkommen sicheren Urnen, numerierte und mit Strichcodes markierte Stimmzettel sind einige der Neuheiten, die eine nationale und internationale Überprüfung dieser Wahlen ermöglichen werden«, schrieb das Blatt unter der Überschrift »Vollkommen gepanzerte Wahlen«.

Trotzdem haben fast alle Aspiranten auf die Präsidentschaft ihre Kandidatur aufrechterhalten, nur der Unabhängige Carlos H. Reyes verzichtete auf seinen Antritt. Auch Zelaya selbst hält die Abstimmung für illegal, wie er vor wenigen Tagen in einem Schreiben an seine Amtskollegen in den anderen Ländern des amerikanischen Kontinents betonte (siehe unten). Die Linkspartei Demokratische Vereinigung (UD) hält hingegen an ihrer Kandidatur fest, wie eine Mehrheit der Delegierten am vergangenen Wochenende bei einem Sonderparteitag entschied. Hintergrund war die Furcht, durch eine Wahlenthaltung den Status als politische Partei zu verlieren. Trotzdem haben zahlreiche Mitglieder der UD entschieden, ihre Kandidatur zurückzuziehen, darunter die bisherige Parlamentsabgeordnete Silvia Ayala. Der chilenischen Tageszeitung Clarín sagte sie, die Beteiligung an der Wahl sei ein »schwerer Fehler«. Trotzdem werde sie die UD nicht verlassen, denn auch diejenigen, die für die weitere Beteiligung an der Wahl gestimmt haben, wollten den Kampf für die Interessen des Volkes und gegen die Putschisten fortsetzen.

Weder die Vereinten Nationen noch die Europäische Union oder die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) haben Wahlbeobachter nach Honduras entsandt, sehr wohl jedoch die Liberale Internationale, deren Chef Hans van Baalen erst vor wenigen Tagen mit Putschistenchef Micheletti Händchen gehalten hat, sowie die Parteistiftungen der Demokraten und der Republikaner in den USA. Auch in der Frage einer Anerkennung der aus dieser Abstimmung hervorgehenden Regierung haben die USA ebenso wie Kolumbien und Panama – entgegen der großen Mehrheit der Länder des Kontinents – mittlerweile ihre Absicht erkennen lassen, diesem »legitimierten« Putschistenregime ihren Segen zu geben.

Erschienen am 27. November 2009 in der Tageszeitung junge Welt und am 28. November 2009 in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek