Retter in Gefahr

Mit einem dramatischen Appell haben 75 vor allem spanische Hilfsorganisationen am Mittwoch auf die zunehmenden Drohungen gegen Menschenrechtsaktivisten aufmerksam gemacht, die sich an den EU-Außengrenzen für Schutzsuchende einsetzen. Anlass für die Erklärung waren Mordaufrufe gegen Helena Maleno Garzón, die für die NGO »Caminando Fronteras« an der Grenze zwischen Marokko und der spanischen Exklave Ceuta aktiv ist.

Eine gefährliche Zuspitzung erlebte am Dienstag auch die Hilfsorganisation Proactiva Open Arms. Ihr Rettungsschiff »Golfo Azzurro« wurde den Angaben der spanischen NGO zufolge in internationalen Gewässern von der libyschen Küstenwache aufgebracht. Zunächst sei die Besatzung aufgefordert worden, den Beamten nach Tripolis zu folgen. Bei einer Weigerung werde man das Feuer eröffnen. Nach etwa zwei Stunden forderten die Libyer sie auf, nach Norden zu fahren und nicht mehr zurückzukehren. Am Mittwoch versuchten dann die Rassisten der »Identitären Bewegung« mit ihrer »C Star«, die Arbeit der Retter zu behindern.

Schon in der vergangenen Woche hatte die Organisation mitgeteilt, von der Küstenwache des nordafrikanischen Landes mit Warnschüssen bedrängt worden zu sein. Am Wochenende kündigten die Hilfsorganisationen Sea Eye, Ärzte ohne Grenzen und Save the Children an, ihre Rettungseinsätze vorläufig einzustellen. Die Ankündigung Libyens, die eigene »Such- und Rettungszone« auf internationale Gewässer auszuweiten, mache den Einsatz der NGOs zu riskant.

Seit Herbst vergangenen Jahres wird die libysche Küstenwache von der EU finanziell, materiell und mit Ausbildern unterstützt. Sie untersteht der »Einheitsregierung« in Tripolis, die zwar über keinerlei demokratische Legitimation verfügt, trotzdem aber von der UNO und der EU als »rechtmäßig« anerkannt wurde. Das Regime ist politisch verantwortlich für die etwa zwei Dutzend Lager, in die Flüchtlinge in Libyen eingepfercht werden. Über die Zustände dort schreibt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem aktuellen Jahresbericht: »Die Inhaftierten lebten unter erbärmlichen Bedingungen und wurden vom Wachpersonal gefoltert und anderweitig misshandelt. In Berichten war von Schlägen, Schüssen, Ausbeutung und sexualisierter Gewalt die Rede.«

Konsequenzen zieht man in der EU aus solchen Informationen keine. Rom vereinbarte mit den Machthabern in Tripolis Anfang August sogar den Einsatz der italienischen Kriegsmarine in libyschen Hoheitsgewässern. Pro Asyl warnte daraufhin, es drohe eine menschenverachtende Arbeitsteilung: „Italien interveniert, die libysche Küstenwache schleppt die Bootsflüchtlinge zurück in die Hölle«, so der Europareferent der Vereinigung, Karl Kopp. Auch die UN-Berichterstatterin über außergerichtliche und willkürliche Hinrichtungen, Agnes Callamard, warnte am Dienstag, wer Flüchtlinge nach Libyen zurückschaffen lasse, setze diese weiterer Gewalt aus.

In Brüssel und Rom jubelt man trotzdem, dass die libysche Küstenwache »deutlich stärker Präsenz« im Mittelmeer zeige. Das habe Schmuggler davon abgeschreckt, Flüchtlinge auf Boote in Richtung Europa zu setzen, behauptete am Montag die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in diesem Jahr trotzdem schon mehr als 2.400 Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer ums Leben gekommen.

Erschienen am 17. August 2017 in der Tageszeitung junge Welt