»Es gibt keinen Unterschied zwischen Santos und Mockus«

Gespräch mit Adelso Gallo Toscano. Der Gewerkschafter Adelso Gallo Toscano ist Vertreter des Bündnisses Soziale Organisationen von Arauca in Kolumbien und der Landwirtschaftskooperative Coagrosarare Ltda.

Sie leben in Arauca, einer Grenzregion zu Venezuela. Wie sind hier im Alltag die angespannten Beziehungen zwischen beiden Ländern zu spüren?

Die Grenze, die durch den Arauca-Fluß gebildet wird, spielt für unseren Alltag nur eine geringe Rolle. Schon aufgrund der Familienbeziehungen erstrecken sich unsere Gemeinden auf die kolumbianische wie auf die venezolanische Seite. Wir teilen unsere reichhaltige gemeinsame Kultur und Sitten und sind auf beiden Seiten der Grenze Indígenas oder gewerkschaftlich organisierte Arbeiter. Trotzdem erschweren die Spannungen unser Leben, vor allem im Bereich des Handels. Besonders die Viehzucht hat die Probleme zu spüren bekommen, denn Venezuela kauft sein Rindfleisch jetzt in Argentinien. Das ist natürlich sein gutes Recht, aber Kolumbien hat auf absehbare Zeit keinen anderen Markt.

Die Spannungen beruhen im wesentlichen auf den Problemen zwischen den Regierungen in Bogotá und Caracas. Welche Erwartungen haben Sie in diesem Zusammenhang an die Präsidentschaftswahl am Sonntag?

Schon vor der ersten Runde hatten wir keine großen Erwartungen. Ein Teil der kolumbianischen Oligarchie setzt darauf, Antanas Mockus an die Spitze der kolumbianischen Außenbeziehungen zu setzen, weil sie durch die Probleme auf Regierungsebene Geld im Handel verlieren. Wir sehen aber in der Außenpolitik nur graduelle Unterschiede zwischen Santos und Mockus. Santos ist sehr aggressiv und würde nicht zögern, einen Krieg gegen Venezuela zu entfesseln. Mockus hingegen ist etwas akademischer, etwas höflicher und hat angekündigt, daß die sieben US-Militärbasen in Kolumbien nicht dazu benutzt werden dürfen, andere Länder anzugreifen. Der Unterschied ist also, daß Santos vielleicht schneller Venezuela oder Ecuador angreifen würde, aber auch Antanas Mockus schlägt keine andere politische Linie für unser Land vor.

Was würde ein Präsident Mockus für die Innenpolitik Kolumbiens bedeuten?

Ich glaube, es wäre dasselbe wie bisher. Vielleicht würde die repressive »Demokratische Sicherheit« durch eine autoritäre Demokratie abgelöst werden. Wenn man sich seine Vorschläge anguckt, gibt es keine Unterschiede zu Santos oder Uribe. Wir brauchen aber strukturelle Veränderungen, damit Kolumbien einen Ausweg aus dem sozialen und bewaffneten Konflikt finden kann, der schon so lange dauert und uns soviel gekostet hat. Mockus schlägt hierfür keine Lösung vor, sondern verspricht nur, daß die Gesetze für alle gelten sollen. Aber die Gesetze gibt es schon. Es wäre also dieselbe Medizin, die aber auf verschiedene Weise eingenommen werden soll. Santos wäre aggressiver und würde offen agieren, während Mockus einen akademischen, methodischen Stil wählen würde. Keiner von beiden will radikale Veränderungen.

Sind durch den Regierungswechsel Fortschritte zur Beilegung des kolumbianischen Bürgerkrieges zu erwarten?

Ich glaube eher, daß sich das Problem sogar noch zuspitzen wird. Keiner der beiden Kandidaten schlägt eine politische Lösung vor. Santos und Mockus sagen beide: Erst wenn die Guerilla aufgibt, verhandeln wir. Aber es geht um ein strukturelles, historisches Problem, das nur auf politischem Weg gelöst werden kann. Ich sehe derzeit eher die Tendenz zu einer Verschärfung der Situation. Unter der Losung »Sicherheit« wird die Militarisierung vorangetrieben, die Bodenschätze werden ausgebeutet, multinationale Konzerne agieren hier, und dann kommen noch die US-Militärbasen hinzu. Deshalb ist ein politischer Ausweg für den Konflikt momentan nicht absehbar.

Erschienen am 18. Juni 2010 in der Tageszeitung junge Welt