Reiche zur Kasse

Lateinamerika fordert von den Industriestaaten, ihrer Verantwortung für die Klimakatastrophe gerecht zu werden und für die Folgen einzustehen. Es sei nicht hinnehmbar, daß die reichen Länder bei der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen weniger Geld für die Bekämpfung des Klimawandels anbieten, als sie im zu Ende gehenden Jahr für die Rettung der Banken und für den Krieg im Irak ausgegeben haben, kritisierte der bolivianische UN-Botschafter Pablo Solón.
Auch die neun Mitgliedsstaaten der Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA) betonten in einer Erklärung zum Abschluß ihres am Montag in Havanna zu Ende gegangenen Gipfeltreffens: »Die sich aus dem Temperaturanstieg ergebene Umweltkrise ist die Konsequenz des kapitalistischen Systems, des unerträglichen Produktions- und Konsummodells der entwickelten Länder, einer der übrigen Welt aufgezwungenen räuberischen Entwicklung und des fehlenden politischen Willens, die im Kyoto-Protokoll festgelegten Verpflichtungen vollständig und effektiv zu erfüllen.« Mit Blick auf die derzeitigen Verhandlungen kritisierten die Regierungschefs und Minister aus Kuba, Bolivien, Venezuela, Nicaragua, Honduras, Ecuador, St. Vicent und den Grenadinen, Dominica sowie Antigua und Barbuda: »Die Absicht der entwickelten Länder, ein politisches Abkommen durchzusetzen, das 80 Prozent der Weltbevölkerung zu einem Leben in Unterentwicklung und Armut verurteilen würde, ist inakzeptabel, kann keine politische Option sein und stellt ein ernsthaftes Hindernis für das Erreichen eines gerechten und ausgeglichenen Ergebnisses in Kopenhagen dar.«

Venezuelas Präsident Hugo Chávez, der heute in Kopenhagen erwartet wird und gegen Mittag das Wort ergreifen soll, hatte zunächst bezweifelt, ob die weite Reise überhaupt Sinn machen würde, und seine Teilnahme von den Entscheidungen des ALBA-Gipfels abhängig gemacht. Gemeinsam mit seinem bolivianischen Amtskollegen Evo Morales will er nun jedoch die Positionen des Bündnisses vertreten. Dieser hatte bereits im Vorfeld der Klimakonferenz gefordert, die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer mit den Umweltschulden der Industriestaaten zu verrechnen: »Anstatt von uns die Schulden einzutreiben, sollten die kapitalistischen Länder lieber bezahlen«, forderte Morales. Das herrschende System sei der schlimmste Feind der Menschheit: »Schuld haben der Kapitalismus und der Imperialismus, denn sie sind Formen unbegrenzter Industrieentwicklung. Natürlich brauchen wir Industrie, aber es geht darum, sie zu begrenzen.« Ohne eine grundsätzliche Veränderung dieses Wirtschaftssystems könne das Leben der Menschheit nicht gerettet werden, sagte Morales, der sich bestürzt darüber zeigte, wie deutlich sichtbar die Folgen der Erderwärmung mittlerweile sind. Bei seinen regelmäßigen Reisen durch die Regionen Boliviens habe er sehen können, wie früher ständig mit Schnee bedeckte Berge mittlerweile nur noch kahlen Fels zeigen.

In Havanna rief Morales die sozialen Bewegungen dazu auf, die Diskussionen in Kopenhagen zu begleiten, »und wir hoffen, daß sie uns korrigieren können, wenn wir uns irren.« Die Organisatoren der Konferenz sehen das offenbar ganz anders. Seit Tagen kommt es morgens an den Zugängen immer wieder zu langen Schlangen und chaotischen Zuständen, weil die Sicherheitskräfte offenbar damit überfordert sind, akkreditierte Regierungsvertreter von Schaulustigen zu unterscheiden. Während die offiziellen Delegationen und registrierte Pressevertreter weiterhin ungehinderten Zugang zu den Konferenzräumen haben sollen, wollen die Organisatoren an dem am Montag verhängten Ausschluß der meisten NGO-Vertreter festhalten. So sollen am Donnerstag nur noch 1000 der ursprünglich 22000 zugelassenen Delegierten Zugang zum Konferenzbereich bekommen, während der Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs am Freitag sogar nur noch 90. Ein solcher Ausschluß sei »nicht akzeptabel« und »nicht demokratisch«, protestierten mehr als 50 Umwelt- und Entwicklungsverbände in einem Schreiben an den Leiter des UN-Klimasekretariats, Yvo de Boer, und an die dänische Umweltministerin Connie Hedegaard. Einen erfolgreichen Konferenzabschluß werde es nur geben, wenn die anreisenden Staats- und Regierungschefs auch den Druck der Öffentlichkeit spürten.

Das zu verhindern ist aber offenbar das Ziel der dänischen Polizei. Am Montag abend wurden erneut mehrere hundert Demonstranten festgenommen, nachdem die Polizei auf dem Gelände der alternativen Siedlung Christiania mit Tränengas gegen die protestierenden Menschen vorgegangen war. Für dieses Vorgehen der Polizei habe es keinen Grund gegeben, kritisierte das Netzwerk »Climate Justice Action«. Es sei nur darum gegangen, die Anwesenden einzuschüchtern. Die dänische Polizei habe den Festgenommenen außerdem medizinische Versorgung und den Zugang zu sanitären Einrichtungen verwehrt. Seit Sonnabend wurden in Kopenhagen Agenturberichten zufolge rund 1500 Personen festgenommen, die meisten von ihnen sind mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Auch für den heutigen Mittwoch sind in Kopenhagen Proteste unter dem Motto »Gipfelsturm« angekündigt.

Erschienen am 16. Dezember 2009 in der Tageszeitung junge Welt