Rechte vorn

Wenige Tage vor den Parlamentswahlen in Spanien am 20. November scheint die rechte Volkspartei (PP) uneinholbar vorn zu liegen. Alle Umfragen, die in den Medien des Landes in den vergangenen Tagen veröffentlicht wurden, sagen der Partei von Spitzenkandidat Mariano Rajoy eine bequeme absolute Mehrheit bei den Parlamentssitzen voraus. So rutschte sie in keiner der seit Anfang November veröffentlichten Prognosen unter 45 Prozent der Stimmen und dürfte somit zwischen 185 und 190 der 350 Sitze im spanischen Abgeordnetenhaus erreichen. Die schwerste Niederlage seit dem Tod Francos 1975 droht hingegen den bislang regierenden Sozialdemokraten, die froh sein können, wenn sie oberhalb der 30-Prozent-Marke abschneiden. Die Vereinigte Linke (IU) dürfte sich hingegen von ihrem Debakel bei der letzten Wahl 2008 erholen. Damals hatte sie gemeinsam mit der katalanischen ICV nur noch 3,77 Prozent der Stimmen und zwei Mandate im Parlament holen können. Nun wird ihr in einigen Umfragen eine Verdoppelung des Stimmenanteils zugetraut, vor allem aber mindestens eine Verdreifachung der Abgeordnetenzahl.

Die IU leidet unter dem spanischen Wahlrecht, das große und Regionalparteien bevorzugt. In Spanien herrscht zwar das Verhältniswahlrecht, aber die Sitze werden für jede einzelne der 52 Provinzen separat vergeben. Das dabei angewandte Zählverfahren bevorzugt zudem die großen Parteien. Damit haben kleinere Parteien praktisch nur in einwohnerstarken Städten und Regionen, die viele Abgeordnete nach Madrid entsenden, überhaupt die Chance, eine Vertretung zu ergattern. So waren die fast 970000 Stimmen der IU 2008 nur zwei Sitze im Abgeordnetenhaus wert, während etwa die nur regional bedeutende Republikanische Linke Kataloniens (ERC) mit weniger als einem Drittel dieser Stimmenzahl drei Parlamentarier entsenden konnte. Im Ergebnis reichten der PP und der PSOE 2008 durchschnittlich 66000 Stimmen für ein Mandat, während die Linken dafür fast eine halbe Million benötigten.

Dieses als ungerecht empfundene Wahlrecht zu reformieren war im Mai eine der Hauptforderungen der im Vorfeld der damaligen Regionalwahlen entstandenen Bewegung der »Empörten« in Spanien. Ein Versuch, diesem Ansinnen eine Stimme zu geben, ist die Partei »Weiße Sitze«. Sie verspricht, daß keiner ihrer Kandidaten, sollte er gewählt werden, seinen Platz im Parlament einnehmen und die ihm dafür zustehenden Diäten kassieren wird. Dadurch, daß die gewählten Abgeordneten jedoch auch nicht von ihrem Mandat zurücktreten, soll der Sitz unbesetzt bleiben und nicht an Nachrücker aus anderen Organisationen fallen können. Dadurch will »Escaños en blanco« die bislang unter den Tisch fallenden leer abgegebenen Stimmzettel zählbar machen. In den Prognosen spielt diese Partei bislang jedoch keine Rolle, während die spanische Wahlbehörde trotz einer solchen Option mit zwei Prozent oder einer halben Million Wähler rechnet, die leere Stimmzettel abgeben werden.

Die baskische »abertzale Linke«, die sich für eine Unabhängigkeit Euskadis (Baskenland) von Spanien angagiert, setzt bei den Wahlen auf das neugegründete Bündnis Amaiur, zu dem sich die regionalen Linksparteien Eusko Alkartasuna (EA), Alternatiba und Aralar sowie unabhängige Vertreter der baskischen Linken zusammengefunden haben. Der Name verweist auf eine gleichnamige, für die baskische Geschichte symbolträchtige Ortschaft, in der 1522 eine der letzten großen Widerstandsaktionen gegen die Invasion Kastiliens und Aragóns in Navarra stattfand. Den Umfragen zufolge kann Amaiur am 20. November mit drei bis fünf Sitzen im spanischen Parlament rechnen.

Erschienen am 17. November 2011 in der Tageszeitung junge Welt