Luis Báez

»Der Sozialismus ist heute gefestigter als vor 50 Jahren«

Luis Báez
Luis Báez
Gespräch mit Luis Báez über den Sieg in der Schweinebucht 1961, über Reisen mit Fidel Castro, Hugo Chávez und die Revolution in Venezuela

Luis Báez Hernández, geboren 1936 in Havanna, ist einer der bekanntesten Journalisten Kubas. Während der CIA-gesteuerten Inva­sion in der Schweinebucht war er als erster Kriegsberichterstatter vor Ort. Er ist Autor zahlreicher Bücher über Fidel Castro und Hugo Chávez. Zu den bekanntesten gehören »El mérito es estar vivo« und »Chávez Nuestro«.

Vor 50 Jahren, am 17. April 1961, griffen 1500 von der CIA ausgebildete und ausgerüstete Söldner Kuba an, um die revolutionäre Regierung zu stürzen. Sie waren vor 50 Jahren der erste Kriegsberichterstatter in der Schweinebucht. Wie kam es dazu?

Ich habe damals bei der Tageszeitung Revolución und für die Zeitschrift Bohemia gearbeitet. Als die Nachricht von der Landung in der Schweinebucht kam, wurde ich gebeten, dorthin zu fahren. Ich nahm also mein eigenes Auto, einen Chevrolet, Baujahr 1958, und machte mich auf den Weg.

Schon zwei Wochen vorher habe ich Fidel bei einer seiner üblichen Inspektionsrundfahrten begleitet, mit denen er die Umsetzung der Bauvorhaben kontrollierte, die die revolutionäre Regierung vorantrieb. Und diesmal führte die Fahrt genau zur Ciénaga-Halbinsel, wo auch die Schweinebucht mit der Playa Girón liegt. Dort wurden damals touristische Einrichtungen und ein kleiner Flugplatz gebaut. Fidel blieb dort am Strand stehen, kurz vor den Wellen, und betrachtete das Gebiet sehr genau. Und dann rief er aus: »Das ist der ideale Ort für eine Landung! Hier werden diese Hurensöhne angreifen!« Und dann dachte er laut nach, daß man ein Maschinengewehr Kaliber 50 auf dem Wassertank montieren müsse, der sehr hoch war, und ein weiteres an der Landebahn. Aber durch die Geschwindigkeit, mit der sich die Ereignisse dann entwickelten, konnten diese Waffen dort nicht mehr installiert werden. Das heißt aber, daß Fidel das Gebiet bereits damals als mögliches Gebiet einer Landung erkannt hatte.

Insgesamt war Kuba damals in drei Verteidigungszonen aufgeteilt, weil die drohende Invasion ja absehbar war. In Pinar del Río war zum Beispiel der Comandante Che Guevara militärischer Leiter aller Maßnahmen. Er sagte damals: »Wir müssen uns auf einen langen und harten Krieg vorbereiten und dürfen erst an den Frieden denken, wenn der Imperialismus vollständig zerstört sein wird.«

Wie konnte Fidel so genau wissen, daß die Landung in der Schweinebucht erfolgen würde?

Das war Intuition. Ich habe ihn nie danach gefragt, aber das war zweifellos seine Intuition. Fidel ist ein sehr weitsichtiger Mann. Wir haben uns dort alle umgeschaut, aber Fidel hat genau beobachtet.

Als Sie dann am 17. April in der Schweinebucht ankamen, hatte die Invasion bereits begonnen. Was waren Ihre ersten Eindrücke?

Ich erreichte Playa Girón in den Morgenstunden. Hauptmann José Ramón Fernández, der heute Brigadegeneral und Vizepräsident des Ministerrates ist, hatte sein Hauptquartier in der Central, der Zuckerfabrik, in der Ortschaft Australia, eingerichtet. Als ich dort ankam, fragte er mich, bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte: »Und was willst du hier?« Ich antwortete, daß ich gekommen sei, um für die Revolución und die Bohemia über die Landung zu berichten. Darauf antwortete er, daß ich das machen könne, aber daß ich sehr vorsichtig sein solle. So habe ich auch die Tür für die Journalisten, Fotografen und Kameraleute geöffnet, die später noch hinzukamen.

Ich begann also, mich umzusehen, und zu meinen ersten Notizen gehörte, daß sich innerhalb weniger Minuten immer mehr Männer und Frauen einfanden, die sich freiwillig meldeten, um sich den Kämpfern anzuschließen.

Gegen 9 Uhr morgens wurde dort in der Central Australia eine Patrouille aus allen bewaffneten Männern zusammengestellt, die in diesem Augenblick dort waren: nicht mehr als sieben insgesamt. Die Männer dieser Patrouille kehrten kurz darauf zurück und berichteten, daß sie am Kilometer 7 von einer B-26 angegriffen worden seien, die die kubanische Fahne am Flügel gehabt habe. Das hatten sie schon in den Tagen zuvor mehrfach gemacht, damit es so aussah, als wenn es sich um kubanische Piloten handeln würde, die gegen die Revolution meutern. Dieser Angriff kostete einer alten Frau und vier Milizionären des Bataillons 339 das Leben, mehrere Männer wurden verletzt. Das waren Minuten, die wir sehr intensiv erlebten. Fernández unternahm einen Rundgang und ordnete an, mit Hindernissen und Fahrzeugen eine nahe gelegene Landebahn zu blockieren.

Kurz nach 9.30 Uhr erreichte dann das Bataillon der Schule der Milizverantwortlichen das Gebiet um die Central Australia. Fernández erklärte den Milizionären, daß es wichtig sei, Pálpite einzunehmen. Die zweiten Kompanie, die von Leutnant Roberto Conyedo León befehligt wurde, beauftragte er, von Pálpite nach Soplillar vorzurücken, den Feind zu vertreiben und eine dort vorhandene Straße zu blockieren sowie diese gegen möglicherweise dort landende Fallschirmspringer zu verteidigen. Genau um 12.11 Uhr wurde er informiert, daß der Auftrag ausgeführt sei.

Schon sehr früh hatte Fidel den Befehl gegeben, diese Ortschaften zu besetzen, um einen Brückenkopf auf der Ciénaga-Halbinsel zu haben. Mit diesem Sieg wurde die Möglichkeit schneller Operationen gegen die Invasoren gesichert. Die Söldner kamen nie bis Australia. Als ich dort ankam, hatten sie Playa Larga erreicht. Ich selbst sah die Söldner dann erst später, als sie am 19. April gefangengenommen wurden. Dabei traf ich sogar einige frühere Klassenkameraden, die mit mir zur Schule gegangen, und nun als Söldner in Gefangenschaft waren. Einer von ihnen bat mich: »Bitte, ich möchte noch einmal mit meinem Vater sprechen, bevor ich erschossen werde.« Aber wir haben sie nicht erschossen, nur Mörder und Kriegsverbrecher wurden hingerichtet.

Ich begleitete auch Oscar Fernández Mell, den Comandante einer Gruppe, die ein Söldnerflugzeug abgeschossen hatte und nun eilte, die Piloten festzunehmen. Ich war natürlich immer als Journalist dabei, nicht als Kämpfer. Der Befehl war, sie lebend zu fassen, denn das wäre ein großartiger Beweis vor aller Welt gewesen. Aber als einer der Piloten Widerstand leistete, warf einer unserer Kämpfer eine Handgranate und tötete ihn. Der andere war bereits bei dem Absturz ums Leben gekommen.

Das Kräfteverhältnis zwischen unseren Flugzeugen und den Maschinen des Feindes war etwa fünf zu eins, natürlich zugunsten des Feindes. Auf zwölf gegnerische Piloten kam einer von uns. In den 72 Stunden zwischen dem Beginn der Invasion und unserem Sieg flogen unsere neun Piloten mit acht alten Flugzeugen nicht weniger als 70 Einsätze. Wir konnten neun B-26-Bomber abschießen sowie zwei Truppentransporter und drei Landungsschiffe versenken. Die Aggressoren verloren dabei 14 Mann, darunter vier nordamerikanische Piloten.

Später sah ich noch einige Fallschirmjäger, die bei den Gefechten mit unseren Truppen gefallen waren. »Das ist einer der Söldner, die wir mit dem Maschinengewehr erwischt haben«, erzählte mir einer der Milizionäre. Ein anderer junger Kämpfer, Jesús Álvarez aus dem Bataillon 339, erzählte mir, daß er Auge in Auge einem Fallschirmjäger gegenüberstand, »und er flehte mich auf Spanisch an: Bei deiner Mutter, bitte töte mich nicht! Ich habe ihm geantwortet: Du hast schuld, daß meine Mutter leidet! Aber ich habe ihn nicht getötet.«

Gegen 16.30 Uhr tauchte von irgendwoher Fidel auf. »Heute abend kommen Panzer und schwere Artillerie«, informierte er die Kommandeure. Fidel sah sich überall um. Mit großen Schritten und die Hände immer an seinem Bart gab er seine Anweisungen.

Innerhalb von zwei Tagen wurden rund 700 Söldner verhaftet, die sich besiegt vom Hunger, dem Durst und dem Fehlen jeder Fluchtmöglichkeit unseren Kämpfern ergaben. Von denen, die sie festnahmen, wurden sie korrekt behandelt. Kein Gefangener wurde mißhandelt, keinem Verletzten wurde Hilfe verweigert, keinem Hungernden oder Durstigen wurde Brot oder Wasser verweigert. Aber das heißt natürlich nicht, daß nicht doch die Leidenschaften hochkochten. Als in Playa Girón die ersten Gefangenen eintrafen, sagten manche unserer sehr aufgeregten Kämpfer einige Sachen zu den Gefangenen. Fidel war auch dort, in Girón, und als er das sah, kletterte er auf einen Stuhl – ich weiß nicht mehr genau, ob es ein Stuhl oder eine Kiste oder sonst etwas war – und rief: Beschimpft sie nicht! Nichts darf unseren Sieg beschmutzen!

Und später?

Ich bin dann wieder in meinem eigenen Wagen nach Hause gefahren. Als ich Matanzas erreichte, bin ich ohne noch etwas zu essen direkt eingeschlafen. Nach dem Aufwachen traf ich, eine Gruppe nord­amerikanischer Schriftsteller, die sich auf Einladung eines kubanischen Dichters in unserem Land aufhielten, und einer von ihnen fuhr dann das Auto und mich weiter nach Havanna. Das war eine interessante und unvergeßliche Erfahrung, denn ich war damals noch sehr jung. Zum Zeitpunkt des Sieges der Revolution war ich 24 Jahre alt, und zu diesem Zeitpunkt 26.

Sie haben damals für die Tageszeitung Revolución, das Organ der Bewegung des 26. Juli, und für die Zeitschrift Bohemia gearbeitet. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Ich habe Anfang 1959 angefangen, für die Revolución zu schreiben, um die Informationen über Fidel zu verbreiten. Ich begleitete Fidel sogar bei seiner ersten Auslandsreise nach dem Sieg der Revolution, am 23. Januar 1959 nach Venezuela, und fuhr mit ihm ebenfalls 1959 auch in die USA. Später reisten wir nach Argentinien, Uruguay und Brasilien. In meinem Buch »Fidel por el mundo« (Fidel um die Welt), das ich im Februar bei der Internationalen Buchmesse in Havanna vorgestellt habe, beschreibe ich 31 Reisen, die ich mit Fidel unternommen habe. Insgesamt bereisten wir 51 Länder, darunter 1972 auch die Deutsche Demokratische Republik. Fidel wurde dort von der Bevölkerung sehr herzlich empfangen. Wir besuchten das Brandenburger Tor in Berlin und auch Städte im Inland, zum Beispiel Rostock. Fidel war mit seinem Aufenthalt dort sehr zufrieden. Es war Teil einer Reise durch alle sozialistischen Länder, angefangen in Bulgarien und abgeschlossen in der Sowjetunion. Eine großartige Erfahrung. Vor allem hat Fidel bei dieser Reise ständig zur Verteidigung Vietnams aufgerufen. Vietnam wurde damals von den Amerikanern massiv angegriffen, und Fidel erbat die solidarische Hilfe der sozialistischen Länder.

Erfolgreich?

Ich weiß es nicht, aber er erbat sie auf jeden Fall. Ich denke, zumindest die Sowjet­union leistete sehr umfangreiche Hilfe.

Als Fidel 1989 in die DDR zurückkehrte und die damalige Staatsführung warnte, sie sei verloren, wenn sie auch nur einen Millimeter der Macht preisgeben würde, begleiteten Sie ihn nicht?

Nein, ich war nur 1972 dabei. Aber eine solche Warnung richtete Fidel auch in Chile an die damalige Regierung von Salvador Allende und der Unidad Popular. Er forderte die Kräfte dort zur Einheit auf, denn ohne Einheit würde dieser Prozeß dort zugrundgehen.

Wie war es möglich, daß ein junger Mann von 24 Jahren zu einem so engen Begleiter Fidels wurde?

Ich war ein sehr aktiver Jugendlicher. Als Journalist begann ich als Sportreporter. Schon 1952 nannte mich der Chef der Zeitung Avance, für die ich damals arbeitete, seinen »Journalisten der Zukunft«. Als die Revolution dann siegte, nannte er mich noch einmal so und beauftragte mich, alles über Fidel Castro zu berichten. Deshalb fuhr ich nach Santa Clara, erwartete dort den Einzug Fidels und begann damit, die Nachrichten über ihn zu verbreiten. So begann es, daß ich Fidels Weg begleitet habe – bis heute.

Wenige Tage vor dem Beginn der Invasion in der Schweinebucht proklamierte Fidel den sozialistischen Charakter der Revolution. Wie sehen sie dies heute, ein halbes Jahrhundert später?

Der Sozialismus ist heute gefestigter als zu jener Zeit vor 50 Jahren. Heute gibt es in der Bevölkerung ein größeres Bewußtsein. Damals herrschte noch viel Antikommunismus, aber der Antikommunismus ist in Kuba seit langem verschwunden, und das Volk steht auf der Seite von Fidel und Raúl. Wir haben hier ein sehr revolutionäres Volk.

Aber kann man den Sozialismus in einem Land mit einer Proklamation einführen?

Die Kubanische Revolution war immer eine sozialistische Revolution. Bei einem Vortrag, den Fidel während einer Reise in die Tschechoslowakei gehalten hat, hat er auch unterstrichen, daß er bereits vor dem Sieg der Revolution Sozialist war.

In seinen ersten Reden nach dem Sieg stritt er das jedoch noch ab …

Nein, er hat es nicht abgestritten, aber er hat es auch nicht ausdrücklich verkündet. Das war damals eine taktische Frage. Das Volk hat dich damals noch nicht verstanden, wenn du von Sozialismus oder Kommunismus gesprochen hast. Es war erst notwendig, das Volk zu erziehen.

Einige sagen, die Radikalisierung der Kubanischen Revolution in ihren ersten Jahren sei die Schuld der USA wegen ihrer Politik der Aggressionen und der Blockade.

Fidel hat darauf selbst in einigen Reden geantwortet. Diese Revolution mußte sozialistisch werden, früher oder später. Das war die Idee von Fidel und der Gruppe der Führungspersönlichkeiten der Revolution. Ich habe auch Che Guevara kennengelernt, ein phantastischer Sozialist. Ein wunderbarer Mensch. Er ist ein Heiliger, ein Heiliger des Sozialismus.

Kann man also das damalige Herangehen Fidels mit der Haltung von Hugo Chávez heute vergleichen, der auch erst am 30. Januar 2005, sechs Jahre nach seinem Amtsantritt, begonnen hat, vom Sozialismus zu sprechen?

Dabei geht es um zwei völlig verschiedene Modelle. Chávez ist ein großer Revolutionär, der sein Volk liebt. Der Weg, den er wählen wird, hängt von den Umständen ab. Wir hier sagen, daß wir Sozialisten sind. Und auch Chávez sagt, daß der Sozialismus das Ziel ist. Aber auf seinem Weg liegen viele Schwierigkeiten. In Venezuela gibt es noch eine starke Reaktion, es gibt noch die reaktionären Zeitungen und Fernsehstationen. Hier haben wir das Ganze beseitigt.

Viele vergleichen Fidel und Chávez. Sie kennen beide …

Chávez liebt Fidel wie einen Vater. Während des Putschversuchs in Venezuela, am 11. April 2002, dachte Chávez daran, sich zu opfern, aber Fidel überzeugte ihn davon, es nicht zu tun. Es war notwendig, daß er am Leben blieb.

Welche Perspektiven sehen Sie für den venezolanischen Prozeß?

Er konsolidiert sich, mit Schwierigkeiten, aber er stabilisiert sich. Sie haben eine außergewöhnliche Führungspersönlichkeit, die das Volk sehr liebt. Natürlich gibt es die reaktionären Schichten, die versuchen, das alles aufzuhalten. Man kann die kubanische und die venezolanische Revolution nicht vergleichen. Sie sind verschieden. Was sie gemein haben ist, daß sie das Beste für ihre Völker erreichen wollen.

Ich war auch in Bolivien und habe Evo Morales kennengelernt. Das ist auch ein äußerst interessanter Mann, der im Volk große Sympathien genießt. Auch dort versucht die Rechte, ihm das Leben unmöglich zu machen, aber er ist auf einem guten Weg.

Welche Rolle spielt Fidel heute?

Fidel ist der Anführer, der Vater des Vaterlandes. Seine Reflexionen zum Beispiel sind erzieherisch, sie lehren unserer Bevölkerung und den Menschen im Ausland sehr viel. Fidel selbst lernt viel, er liest viel. Er erlebt heute den besten Moment seines Lebens. Aber Raúl ist der Präsident des Staats- und Ministerrates, und diese Rolle füllt er aus.

Erschienen am 16. April 2011 in der Wochenendbeilage der Tageszeitung junge Welt