Honduras: Das Volk ist im Kampf gewachsen

Gilda Rivera ist Direktorin des Zentrums für Frauenrechte (CDH) in Tegucigalpa

In den ersten Tagen nach dem Putsch konnte man den Eindruck gewinnen, daß die Widerstandsaktionen vor allem von Frauen getragen wurden. Täuscht dieser Eindruck?

Nein, das war tatsächlich so. Auch wenn wir Feministinnen Zelaya vorher nicht in allen Punkten unterstützt haben, sind wir sofort auf die Straße gegangen, weil der Putsch einen gewaltigen Rückschritt für die Demokratie in Honduras bedeutet. Wir hatten eine ganz starke Präsenz und waren sehr sichtbar in den Aktionen. Wir sind auch weiterhin dabei, aber natürlich müssen wir auch unsere alltäglichen Pflichten wahrnehmen, und außerdem reihen sich Tag für Tag mehr Menschen in die Widerstandsbewegung ein. Trotzdem bleibt die Präsenz der Feministinnen, der Frauen im Widerstand, in den Aktionen sehr stark.

Wie ist die Lage nach dem Putsch für die Frauen in Honduras, und speziell für die Frauen in der Widerstandsbewegung?

Wie sich in Konfliktsituationen oder in Zeiten der Repression auch in anderen Teilen der Welt und in anderen Ländern unseres Amerika gezeigt hat, wird die Repression gegen Frauen anders ausgeübt als die gegen Männer. Der Körper der Frau ist ein politischer Körper, an dem sich die Ungleichheit, die Repression und Unterdrückung widerspiegelt. Wenn die Repressionsorgane eine Frau unterdrücken, tun sie dies auf andere Weise als bei einem Mann. Das beginnt bei Beschimpfungen wie »Hure«, der Aufforderung, nach Hause zu Mann und Kind zu gehen und der Androhung von Vergewaltigung. Der Körper der Frauen wird gezielt durch Schläge auf die Genitalien mißhandelt, und Frauen wurden auch Opfer sexueller Gewalt durch die Repressionsorgane.

Können die Frauenorganisationen in dieser Situation mit der Solidarität der übrigen Kräfte der Widerstandsbewegung rechnen, oder gibt es hier Probleme?

Zu Beginn der Demonstrationen haben wir Feministinnen Parolen an die Wände gemalt, die unter anderem »Ja zur Abtreibung« sagten, weil Präsident Zelaya sein Veto gegen eine Entscheidung des Kongresses eingelegt hatte, die Benutzung von Notfallverhütungsmitteln wie der »Pille danach« zu verbieten. Dann kamen aber Genossen aus dem Widerstand und haben diese Losungen übermalt, weil sie sagten, das Thema der Abtreibungen sei keine Forderung des Widerstandes. Wir haben ihnen geantwortet, daß dies aber eine Forderung der Frauen im Widerstand ist. Wie können wir von einer vollen Demokratie sprechen, wenn die Frauenrechte nicht anerkannt werden? Es ist also ganz offensichtlich so, daß wir Frauen, und speziell wir Feministinnen, um unseren Platz im Widerstand kämpfen müssen.

Die Widerstandsbewegung fordert nicht nur die Rückkehr Zelayas in das Präsidentenamt, sondern noch viel stärker die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung. Teilen Sie diese Forderung?

Vollkommen. Wir haben uns immer den Aktionen des Widerstandes angeschlossen, weil die Rückkehr des Präsidenten Zelaya wichtig ist, aber wir haben immer gesagt, daß dieser Kampf weitergehen muß. Es freut uns sehr, wie das Volk im Kampf gewachsen ist. Die Hauptforderung ist nicht mehr nur die Rückkehr des Präsidenten in sein Amt, sondern die verfassunggebende Versammlung, an der wir als Feministinnen teilnehmen werden.

Welche Vorteile könnte eine neue Verfassung für die Frauen haben?

Wir wollen in der Verfassunggebenden Versammlung die vollständige Gleichberechtigung, Chancengleichheit und das Recht, selbst über unsere Körper zu entscheiden, einfordern. Dazu ist es notwendig, die heutige Ungleichbehandlung anzuerkennen und Maßnahmen zu ergreifen, damit die Frauen im Bereich der Gleichberechtigung vorankommen können. Und von grundlegender Bedeutung ist der weltliche Charakter des Staates, eine laizistische Schulbildung, die unabhängig von den Kirchen ist.

Können die für den 29. November vorgesehenen Wahlen einen Ausweg aus der gegenwärtigen Situation eröffnen?

Nein, in keiner Weise. Momentan ist es ein Rätsel, ob die Wahlen überhaupt durchgeführt werden oder nicht. In Honduras ändert sich die Lage über Nacht. Wenn die Wahlen unter der Kontrolle der Putschisten durchgeführt werden, stellen sie keine Lösung dar, sondern können die Lage in unserem Land nur weiter verschärfen.

Erschienen am 23. September 2009 in der Tageszeitung junge Welt