Rajoy versinkt im Sumpf

Die nicht abreißende Serie von Korruptionsskandalen um die spanische Rechtspartei Partido Popular (PP) hat jetzt die obersten Ränge der Regierung in Madrid erreicht. Nachdem die Tageszeitung El País am Donnerstag handschriftliche Notizen des früheren PP-Schatzmeisters Luis Bárcenas veröffentlicht hatte, aus denen nicht offiziell dokumentierte Zahlungen an führende Parteivertreter hervorgehen, demonstrierten am Donnerstag abend Hunderte Menschen vor dem Sitz der Organisation und forderten den Rücktritt der Regierung und der Parteispitze. Am Freitag legte die Vereinigte Linke (IU) im Parlament ein Antikorruptionsgesetz vor. Zudem erstattete das Bündnis Strafanzeige gegen Partei- und Regierungschef Mariano Rajoy und andere Politiker. Linken-Chef Cayo Lara erinnerte daran, daß er bereits vor Wochen gewarnt habe, daß die seit Mitte Januar kursierenden Berichte über Unstimmigkeiten in der Buchführung der PP eine »tickende Zeitbombe« seien. Nun sei diese Bombe explodiert, sagte Lara und forderte Rajoy zum Amtsverzicht und zu Neuwahlen auf.

Die von El País dokumentierten handschriftlichen Buchungen belegen nach Einschätzung der Zeitung, daß zumindest zwischen 1990 und 2009 unter den Schatzmeistern Álvaro Lapuerta und Luis Bárcenas nicht offiziell verzeichnete Zahlungen an führende Parteifunktionäre geflossen sind. So soll der heutige Regierungschef Mariano Rajoy seit 1997 jährlich mehr als 25000 Euro erhalten haben. Die Gelder stammen dem Blatt zufolge aus regelmäßigen Spenden von Unternehmern, vor allem aus der Baubranche. Wie auch Bárcenas seien mindestens drei dieser Wohltäter schon in die »Gürtel-Affäre« verwickelt gewesen. In diesem Anfang 2009 bekanntgewordenen Skandal ging es um Schmiergeldzahlungen des Unternehmers Francisco Correa an hochrangige PP-Vertreter, unter ihnen der damalige Regierungschef der autonomen Region Valencia, Francisco Camps. Die Ermittlungen sind noch immer nicht abgeschlossen. Nach mehr als drei Jahren Haft wurde Correa Mitte 2012 gegen Zahlung von 200000 Euro Kaution unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Am 23. Januar berichtet El País nun, daß die Polizei ein Tonband untersuche, auf dem jemand einräumt, Bárcenas in den 90er Jahren mit mehr als einer Milliarde Peseten (rund sechs Millionen Euro) geschmiert zu haben. Die Ermittler vermuten, daß die Stimme Correa gehört. Die Aufnahme war offenbar erst jetzt unter den Dokumenten des früheren PP-Stadtrats von Majadahonda, José Luis Peñas, entdeckt worden, dessen Strafanzeige gegen die eigenen Parteifreunde die »Gürtel-Affäre« ins Rollen gebracht hatte. Die Bezeichnung »Gürtel« war in Anspielung auf die deutsche Übersetzung des Namens Correa zunächst das Codewort der Polizei für den Fall gewesen und wurde später von den spanischen Medien aufgegriffen.

Bárcena war zudem Mitte Januar in die Schlagzeilen geraten, als bekannt wurde, daß er auf einem Schweizer Bankkonto 22 Millionen Euro gehortet hatte, deren Herkunft er nicht nachweisen konnte. Gegenüber Bankprüfern hatte er Medienberichten zufolge erklärt, sie stammten aus Immobiliengeschäften. In der PP wußte man von solchen Parallelaktivitäten neben der Arbeit für die Partei nichts. Trotzdem stellte sich die Generalsekretärin der Volkspartei, María Dolores Cospedal, am Donnerstag in Madrid vor ihre unter Druck geratenen Parteifreunde. Die Buchhaltung ihrer Organisation sei »einheitlich, transparent, sauber sowie dem Rechnungshof zugänglich«. Man habe nichts zu verbergen. Bezahlte Funktionäre erhielten ihr Gehalt monatlich per Banküberweisung, andere Zahlungen außerhalb der Legalität gäbe es nicht. Man werde sich nun jedoch zunächst einer internen und dann einer externen Buchprüfung unterwerfen, die Ergebnisse würden »in Kürze« bekanntgegeben. Zugleich kündigte die Partei juristische Schritte gegen die Berichte an, da diese eine Beleidigung der gesamten Mitgliedschaft seien. »Es besteht kein Zweifel, daß die einzige Absicht hinter dieser vorgeblichen Information ist, der PP, ihren Führern und speziell dem Präsidenten der Regierung zu schaden«, so Cospedal.

Andere Mitglieder der PP sind sich offenbar nicht so sicher. Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte einen namentlich nicht genannten Vertreter der Partei mit den Worten: »Das sieht wie Bestechung aus.« Sollten die Dokumente echt sein, seien sie »sehr belastend«.

Bereits vor Bekanntwerden des jüngsten Skandals war die PP in den Umfragen abgestürzt. Wenig mehr als ein Jahr nach den Parlamentswahlen vom November 2011, als sie knapp 45 Prozent der Stimmen erreichen konnten, lag sie Anfang Januar nur noch bei unter 30 Prozent. Das wäre ihr schlechtestes Ergebnis seit 1989, als die von Eliten der Franco-Diktatur gegründete Partei noch AP hieß und von einem früheren Minister des Regimes geführt wurde.

Erschienen am 2. Februar 2013 in der Tageszeitung junge Welt