junge Welt, 20. Oktober 2017

Rajoy sieht rot

Im Konflikt zwischen der spanischen Zentralmacht und der katalanischen Regionalregierung stehen die Zeichen auf Konfrontation. Das Kabinett des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy hat am Donnerstag angekündigt, die Autonomie Kataloniens aufzuheben. Dazu sollen bei einer Kabinettssitzung am Sonnabend die entsprechenden Beschlüsse gefasst werden, die dann dem Senat, dem Oberhaus des Parlaments, vorgelegt werden. Da dort die regierende Volkspartei (PP) über eine absolute Mehrheit verfügt, ist die Bestätigung Formsache. Doch auch die rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) und die Sozialdemokraten der PSOE haben bereits ihre Unterstützung angekündigt.

Am Donnerstag vormittag war ein zweites Ultimatum abgelaufen, das Madrid dem katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont gestellt hatte. Dieser verweigerte jedoch noch einmal die Auskunft darüber, ob er am 10. Oktober vor dem Regionalparlament die Unabhängigkeit Kataloniens ausgerufen habe oder nicht. Statt dessen bot er Rajoy erneut direkte Gespräche an. In einem am Donnerstag kurz vor Ablauf der gesetzten Frist veröffentlichten Schreiben kündigte er zugleich jedoch an, mit der Abspaltung Kataloniens Ernst zu machen, »wenn die Regierung des Staates darauf beharrt, den Dialog zu verhindern und die Repression fortzusetzen«.

Bei der Plenartagung in der vergangenen Woche hatten die Abgeordneten der für die Abspaltung eintretenden Parteien zwar eine Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet, diese aber nicht zur Abstimmung gestellt. Nun könnte das nachgeholt werden.

Puigdemont holte sich für dieses Vorgehen am Mittwoch das Okay seiner Demokratischen Partei (PDECat). Mit der Unterstützung seines Koalitionspartners Republikanische Linke (ERC) sowie der antikapitalistischen Kandidatur der Volkseinheit (CUP) kann er ebenfalls rechnen. Zusammen hätten sie damit die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich. Einem Bericht des katalanischen Fernsehsenders TV3 zufolge kamen die Vertreter dieser Parteien bereits in Barcelona zusammen, um zu beraten, in welcher Weise die Proklamation der Katalanischen Republik in das Parlament eingebracht werden soll. Einig ist man sich, dass die Abstimmung stattfinden muss, bevor der spanische Senat in der kommenden Woche entscheidet.

Der Druck auf Puigdemont, die Republik auszurufen, war in den vergangenen Tagen immer stärker geworden. Mit Empörung wurde vor allem darauf reagiert, dass die spanische Justiz am Montag zwei führende Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung ins Gefängnis stecken ließ. Am Dienstag demonstrierten daraufhin in Barcelona und anderen Städten Kataloniens Hunderttausende Menschen für die Freilassung der politischen Gefangenen, Tausende legten zeitweilig die Arbeit nieder.

Madrid droht den Katalanen jedoch mit einer weiteren Verschärfung der Repression. »Niemand sollte daran zweifeln, dass die Regierung alle in ihrer Macht stehenden Mittel ergreifen wird, um so schnell wie möglich die Legalität und verfassungsmäßige Ordnung« in Katalonien wiederherzustellen, erklärte Regierungssprecher Íñigo Méndez de Vigo am Donnerstag.

Die Bürgerinitiative »Katalanische Nationalversammlung« (ANC) ruft ihrerseits für Sonnabend nachmittag zu einer Großdemonstration in Barcelona auf, um die Freilassung der politischen Gefangenen zu verlangen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Kundgebung auch ein lautstarkes Signal für die Unabhängigkeit wird.

Erschienen am 20. Oktober 2017 in der Tageszeitung junge Welt