„Keine Erholung, keine Pause“

Ein Entsetzen geht durch den deutschen Blätterwald: "Ansätze zum Totalitarismus" entdeckt die "Frankfurter Allgemeine", "Züge eines Größenwahnsinnigen" stellt der "Focus" fest und die von manchen immer noch für links gehaltene "taz" greift sogar zu Nazi-Jargon und fragt: "Wird aus Venezuela eine entartete Demokratie?"

Auf die Palme gebracht hat die Damen und Herren, die als Berufsbezeichnung vermutlich "Journalist" angeben, der Präsident Venezuelas, Hugo Chávez. Als dieser am 8. Januar seine neue Regierungsmannschaft vereidigte, kündigte er gleichzeitig radikale Maßnahmen an, um der Bolivarianischen Revolution eine sozialistische Richtung zu geben. So sollen alle von den Vorgängerregierungen privatisierten Unternehmen nationalisiert werden, zuerst der Telekommunikationskonzern CANTV und der Stromversorger EDC. "Alles, was privatisiert wurde, wird nationalisiert", kündigte Chávez an und übergab die konkrete Durchführung seinem neuen Stellvertreter Jorge Rodríguez: "Herr Vizepräsident, nationalisieren Sie!"

Zwei Tage später nutzte Chávez seine eigene Vereidigung für die neue Amtszeit bis 2013, um die vorgegebene Formel des Schwurs ein wenig abzuändern: "Ich schwöre vor dieser Verfassung, vor dieser wunderbaren Verfassung (…), dass ich meinem Arm keine Erholung und meiner Seele keine Pause gönnen werde, dass ich meine Tage und meine Nächte und mein ganzes Leben dem Aufbau des venezolanischen Sozialismus widmen werde …" Er endete seinen Eid mit den Worten: "Vaterland, Sozialismus oder Tod. Ich schwöre!" Dann legte er in einer rund einstündigen Rede die Grundzüge des venezolanischen Sozialismus dar. Ausgehend von Simón Bolívar entwickelte er dabei das Konzept einer durch soziale Gerechtigkeit hergestellten Stabilität und stellte sie der kapitalistischen Macht des Geldes entgegen. Wie Simón Bolívar letztlich "sozialistische" Gedanken vertrat, habe Karl Marx diese dann entscheidend zur Wissenschaft weiterentwickelt, zum dialektischen Materialismus.

Der im Dezember mit knapp 63 Prozent wiedergewählte Präsident betonte, der neue, sozialistische Staat könne nicht auf der Grundlage des alten, kapitalistischen aufgebaut werden. Die neuen Strukturen, wie sie mit den Kommunalen Räten auf lokaler Basis bereits geschaffen wurden, müßten sich auf das ganze Land und auf alle Ebenen des Staatsapparates ausdehnen. Für den Umbau des Staatsapparates ist nun David Velásquez zuständig, im Politbüro der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) für Organisation verantwortlich und bis zum vergangenen Sommer Generalsekretär der Kommunistischen Jugend. Er hatte in der Nationalversammlung zuvor die Parlamentskommission geleitet, die das Gesetz über die Kommunalen Räte ausgearbeitet hatte.

Erschienen in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit vom 19. Januar 2007