„Antiimperialistische Phase der Revolution“ Venezuela läßt sich auch von Paramilitärs nicht stoppen

Die Verhaftung von knapp 150 Paramilitärs in Venezuela sowie von mit ihnen verbundenen hochrangigen, aber nicht mehr aktiven Generälen hat die Aufmerksamkeit in dem südamerikanischen Land auf die zunehmende Bedrohung des revolutionären Prozesses gelenkt. Hunderttausende Menschen demonstrierten am 16. Mai gegen die Aktivitäten der Terroristen und für die Verteidigung der Bolivarianischen Revolution. Dabei stellte Venezuelas Präsident Chávez die rhetorische Frage, warum diese Gruppen in dem Land eingesickert seien und die Ermordung von „Volk, Soldaten und Regierenden Venezuelas“ vorbereiteten und beantwortete sie mit dem Hinweis auf die Existenz des Imperialismus. Es habe seit dem Fall der Berliner Mauer „bis in linke Zirkel hinein“ Angst vor der Verwendung dieses Begriffs und die Illusion eines „menschlicheren Kapitalismus“ gegeben: „Fast niemand traute sich mehr, vom Kapitalismus und noch weniger vom Imperialismus zu sprechen!“ Doch bei dem heutigen Gegner handele es sich um das selbe „mörderische und perverse Imperium“, das die Völker Lateinamerikas seit 500 Jahren unterdrücke.

In Venezuela geht man davon aus, daß die durch die Verhaftungen gescheiterte Invasion von kolumbianischen Paramilitärs, die einen Stützpunkt in der Hauptstadt Caracas errichten wollten, kein Einzelfall war. Der Analyst der staatlichen Presseagentur Venpres, Hernán Mena Cifuentes, sieht den gegen Venezuela gerichteten paramilitärischen Terrorismus als Teil des Feldzugs der USA, um sich das „schwarze Gold“, das Erdöl Südamerikas, anzueignen. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem weiteren Kriegsabenteuer der Bush-Administration nach denen in Afghanistan und dem Irak, dessen Brückenkopf der „Kolumbien-Plan“ sei. Er warnt deshalb davor, als Urheber der paramilitärischen Aktivitäten nur die durch die Chávez-Regierung entmachteten ehemaligen Eliten zu sehen. Vielmehr handele es sich um ein Bestandteil eines von den USA geführten „kontinentalen Krieges“, der sich nicht nur gegen Venezuela, sondern auch gegen andere Länder Südamerikas richte.

Bereits auf der Kundgebung am 16. Mai kündigte Präsident Chávez auch militärische Maßnahmen zur Verteidigung der Revolution an. Dazu gehöre sowohl der Ausbau der Streitkräfte als auch die weitere Verstärkung der Einheit zwischen den Soldaten und der Bevölkerung. Und schließlich forderte er die Organisation des Volkes zur Verteidigung des Landes „in jedem Viertel, in jeder Siedlung, auf jeder Insel, auf dem Land, an den Universitäten, in den Fabriken, im Urwald, an jedem Ort, an dem sich eine Gruppe von Patrioten befindet.“

Mit diesem Aufruf zur Organisierung der Bevölkerung, die von vielen bereits „Volksmilizen“ genannt werden, hat Venezuelas Präsident einen Vorschlag der bewaffneten Gruppe „Bolivarianische Befreiungskräfte“ (FBL) aufgegriffen. Diese Gruppe, die sich als Guerrilla auf eine eventuelle Verteidigung der Bolivarianischen Revolution gegen einen Staatsstreich oder bewaffnete Angriffe vorbereitet, hatte vor wenigen Monaten die Bildung von Volksmilizen in Abstimmung mit den offiziellen Streitkräften angeregt.

Venezuelas Vizepräsident José Vicente Rangel erklärte unterdessen, die Armee bereite sich auf eine mögliche ausländische Intervention vor, deren erster Schritt die vereitelte Ausdehnung der paramilitärischen Aktionen auf die Hauptstadt gewesen sei. Eduardo Daza von der Nationalen Assoziation sozialer Netzwerke und Organisationen, der sich derzeit auf einer Rundreise durch zahlreiche deutsche Städte befindet, warnte in Hamburg davor, sich von der Opposition eine Diskussion über die Volksmilizen als Instrument der Verteidigung aufzwingen zu lassen. Die venezolanische Opposition versuche durch eine solche Debatte von der hohen Zahl von Opfern abzulenken, die es bereits auf der Seite der Verteidiger der Bolivarianischen Revolution gegeben habe. Auch die kolumbianische alternative Nachrichtenagentur ANNCOL erinnerte daran, daß in den vergangenen Jahren bereits mehr als 140 Anhänger der Regierung ermordet worden seien, darunter 87 Bauernführer, die vor allem im Grenzgebiet zwischen Venezuela und Kolumbien bereits seit längerer Zeit Opfer von paramilitärischen Überfällen werden. Dort benutzen die Großgrundbesitzer seit Jahren die kolumbianischen „Paras“, um durch gezielten Terror die Durchsetzung der Ende 2000 begonnenen Bodenreform und die Selbstorganisierung der Bauern zu verhindern oder aufzuhalten.

Unterdessen findet in diesen Tagen die Überprüfung der Unterschriften statt, durch die Referenden zur Absetzung von Mandatsträgern erzwungen werden sollen. Vom 21. bis 24. Mai konnten vom Nationalen Wahlrat (CNE) angezweifelte Unterschriften bestätigt werden, um 14 Abgeordnete der Nationalversammlung ihrer Ämter zu entheben. 13 dieser Abgeordneten gehören der Opposition, nur einer der Regierungskoalition „Block der Veränderung“ an. Am folgenden Wochenende werden dann die Hunderttausenden fragwürdigenden Unterschriften überprüft, die sich gegen den Präsidenten Hugo Chávez richten. Die Wahlbehörde hat jede Veröffentlichung von Ergebnissen der Überprüfung vor der offiziellen Bekanntgabe durch den CNE verboten. Das offizielle Ergebnis wird für Anfang Juni erwartet.

Artikel aus der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit vom 23. Mai 2004