Putschisten unter Zeitdruck

Tausende Menschen sind am Montag in Venezuelas Hauptstadt Caracas gegen den am Sonnabend verübten Anschlag auf Staatspräsident Nicolás Maduro auf die Straße gegangen. Zu der Kundgebung hatte die regierende Vereinte Sozialistische Partei (PSUV) aufgerufen: »Wir appellieren an unser Volk, vereint und wachsam zu bleiben, um, wenn nötig, auf der Straße jeden Versuch des Imperialismus und seiner Lakaien zu vereiteln, das Projekt von Bolívar und Chávez zu beenden.«

Während einer Militärparade auf der zentral gelegenen Avenida Bolívar im Zentrum der Metropole hatten Terroristen versucht, zwei mit Sprengstoff beladene Drohnen auf die Bühne zu lenken, auf der Maduro gerade zu den aufmarschierten Soldaten sprach. Gesteuert wurden beide unbemannten Flugkörper von einem Gebäude aus, das sich über dem Ende der Avenida Bolívar erhebt, wie Innenminister Néstor Reverol später mitteilte. Von dort hatten die Terroristen freien Blick auf die Bühne, um die Drohnen vom Typ »Matrice 600« des Herstellers DJI zu lenken. Der Ehrengarde des Präsidenten gelang es jedoch rechtzeitig, die Fluggeräte anzupeilen und die sie Steuernden zu lokalisieren. Eine Drohne konnte umgelenkt werden, so dass sie an einer Hauswand aufschlug und explodierte. Eine zweite wurde von Scharfschützen in der Luft zerstört. Kurz danach konnten die Behörden bereits die Festnahme von sechs Verdächtigen vermelden. Nach weiteren wird gefahndet.

Zu dem Attentat bekannte sich die Gruppe »Soldados de Franela«, was man mit »Soldaten im Hemd« übersetzen kann. Damit beziehen sich die Terroristen auf die militanten Demonstranten, die im vergangenen Jahr über Monate Unruhen anzettelten, um die gewählte Regierung zu stürzen. Das Logo der Gruppe zeigt stilisiert einen Mann, der mit einer Zwille schießt, sowie eine junge Frau, die einen Sprengkörper wirft. Es handelt sich offenbar um Leute aus dem Umfeld des Polizisten Óscar Pérez, der am 27. Juni 2017 von einem Hubschrauber aus die Gebäude des Obersten Gerichtshofs und des Innenministeriums beschossen hatte. Am 15. Januar wurde er in Caracas bei einem Gefecht mit Sicherheitskräften getötet.

Maduro, der sich wenige Stunden nach dem Zwischenfall in einer Fernsehansprache an die Öffentlichkeit wandte und die Regierung Kolumbiens sowie nicht näher bezeichnete »Finanziers« in den USA als Hintermänner des Anschlags ausmachte, vermutet einen Zusammenhang mit den Wirtschaftsreformen, die ab dem 20. August in Venezuela umgesetzt werden sollen. An diesem Tag tritt unter anderem eine Währungsreform in Kraft, die ein Ende der Hyperinflation ermöglichen soll. Das neue Geld, der »Souveräne Bolívar«, soll an die Anfang des Jahres eingeführte Kryptowährung »Petro« und damit an die Erdölreserven Venezuelas gekoppelt sein. Die Eröffnung legaler Wechselstuben soll zudem den Erwerb ausländischer Devisen vereinfachen, auch wenn die Währungskontrolle im Kern bestehen bleiben soll. Zudem stehen offenbar eine Reihe weiterer Wirtschaftsmaßnahmen bevor. Das regierungsnahe Internetportal Misión Verdad berichtete am Sonntag, dass die bislang extrem niedrigen Benzinpreise auf das Niveau der Nachbarländer angehoben werden sollen, um so dem massenhaften Schmuggel des Treibstoffs die Grundlage zu entziehen. Um einen Kollaps im eigenen Land zu verhindern, sollen Venezuelas Autofahrer durch direkte Subventionen unterstützt werden. Deshalb begann am Wochenende eine Registrierung aller Fahrzeuge, die in dem südamerikanischen Land unterwegs sind.

Derzeit ist die Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik auch unter Anhängern der von Hugo Chávez vor fast 20 Jahren eingeleiteten »Bolivarischen Revolution« groß. Wenn es jedoch gelingt, die wirtschaftliche und soziale Lage zu stabilisieren, könnte Maduro vermutlich schnell enttäuschte Unterstützer zurückgewinnen. Darauf deuten zahlreiche Umfragen hin, nach denen eine deutliche Mehrheit in den bekannten Oppositionsgruppen keine Alternative zur gegenwärtigen Führung sieht. Gut möglich also, dass sich die Terroristen unter Zeitdruck sahen, die »Gunst der Stunde« für ihre mörderischen Pläne auszunutzen.

Erschienen am 7. August 2018 in der Tageszeitung junge Welt