Putsch gegen Evo

In Bolivien haben Präsident Evo Morales und sein Stellvertreter Álvaro García Linera am Sonntag abend ihren Rücktritt erklärt. Sie beugten sich damit einer Aufforderung des Oberkommandos der Streitkräfte. Deren Chef William Kaiman hatte zur »Bewahrung der Stabilität« die Demission des Staatschefs verlangt.

Stunden zuvor hatte Morales am frühen Sonntag morgen (Ortszeit) auf einer Pressekonferenz in El Alto Neuwahlen einberufen, nachdem er sich zuvor mit Vertretern verbündeter Gewerkschaften und Bewegungen beraten hatte. Der Präsident zog damit die Konsequenz aus der zuletzt eskalierenden Gewalt in dem südamerikanischen Land. Er wolle durch seine Entscheidung, den Urnengang vom 20. Oktober zu annullieren, den Frieden sichern und zu einer Entspannung der Lage beitragen, erklärte er.

Einen sofortigen Rücktritt schloss er zu diesem Zeitpunkt noch aus. Er sei bis zum 22. Januar 2020 gewählt und werde sein Amt bis dahin ausüben, unterstrich er im Gespräch mit dem Rundfunksender Panamericana. Denjenigen, die trotz der bevorstehenden Neuwahlen seine Demission verlangten, betrieben einen Staatsstreich. Er äußerte sich nicht dazu, ob er selbst noch einmal antreten wird. Oppositionsvertreter verlangten allerdings, Morales und seinen Vizepräsidenten Álvaro García Linera von einer erneuten Kandidatur auszuschließen.

Ab Freitag (Ortszeit) hatten sich Angehörige der Nationalpolizei in mehreren Städten gegen die Regierung erhoben. Auch in La Paz verweigerten die für den Schutz der Regierungsgebäude eingeteilten Beamten den Dienst. Militante Oppositionelle konnten ungehindert die Zentralen staatlicher Rundfunk- und Fernsehsender attackieren und deren Abschaltung erzwingen. Die Homepage des staatlichen Fernsehens Bolivia TV wurde vorübergehend gekapert und zeigte Parolen gegen die Regierung. Der Direktor einer gewerkschaftseigenen Radiostation wurde an einen Baum gefesselt und misshandelt. In Oruro wurde das Haus von Esther Morales, der Schwester des Staatschefs, in Brand gesetzt. Trotzdem kündigte die Armee an, nicht eingreifen zu wollen. Gerüchten zufolge wollten die Streitkräfte abwarten, wie viele Regierungsanhänger zur Unterstützung des Präsidenten auf die Straße gingen – und bei ausbleibender Mobilisierung selbst die Macht ergreifen.

Morales rief die Bevölkerung am Sonnabend auf, gewaltfrei die Demokratie und die verfassungsmäßige Ordnung zu verteidigen, und sprach von einem in Gang gesetzten Staatsstreich. Der antiimperialistische Staatenbund ALBA, dem Bolivien angehört, solidarisierte sich umgehend mit der Regierung und verurteilte den »Einsatz von Gewalt als politischer Waffe«. Venezuela und Kuba stellten sich demonstrativ hinter Morales, ebenso der gerade erst aus der Haft entlassene brasilianische Expräsident Luiz Inácio Lula da Silva.

Auslöser der Proteste war das offizielle Endergebnis der Wahlen vom 20. Oktober. Dem Obersten Wahlgericht (TSE) zufolge hatte Morales diese mit 47,08 Prozent der Stimmen gewonnen. Damit lag er mehr als zehn Punkte vor dem Zweitplazierten Carlos Mesa, womit er im ersten Durchgang gewählt war. Die Opposition hatte darauf gesetzt, Morales in eine Stichwahl zu zwingen, um ihn dann vereint zu schlagen.

Rückendeckung erhielten die Regierungsgegner von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Diese veröffentlichte am Sonntag einen Bericht über die Wahlen, der technische Mängel auflistet. Die Überprüfung war von der bolivianischen Regierung beantragt worden. Allerdings hatten beide Seiten vereinbart, dass der Report zunächst den Behörden vorgelegt werden sollte. OAS-Chef Luis Almagro begründete den Bruch dieser Absprache mit der in Bolivien eingetretenen Situation. Zugleich machte er sich zum Sprachrohr der Opposition und verlangte die Annullierung der Wahlen.

Erschienen am 11. November 2019 in der Tageszeitung junge Welt