Psychokrieg um Syrien

Das Timing ist auffällig: Pünktlich zu Tagungen des UN-Sicherheitsrates rütteln Berichte über Massaker in Syrien die Weltöffentlichkeit auf, für die westliche Politiker ohne jede Prüfung Staatschef Baschar Al-Assad verantwortlich machen. Nach dem Massaker von Masraat-Al-Kubeir am Mittwoch, bei dem Medienberichten zufolge fast 80 Menschen getötet wurden, ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag ausrichten, eine Führung, die solche Taten in ihrem Land zulasse, habe jegliche Legitimität verspielt.

Dabei ist auch der Bundesregierung offensichtlich bewußt, daß das von den Kabinettsmitgliedern gepflegte Bild der Lage in Syrien nicht der Realität entspricht. In einem als »Verschlußsache – Nur für den Dienstgebrauch« gekennzeicheten Papier »über die Auslandseinsätze der Bundeswehr«, das jW vorliegt, schreibt das Verteidigungsministerium am Mittwoch selbst: »Die Zahl asymmetrischer Angriffe durch Dschihadisten und Al-Qaida-nahe Terrorgruppen nimmt zu.« Von der ansonsten so oft angeführten »Freien Syrischen Armee« ist nicht die Rede.

In Moskau wird deshalb vermutet, daß die Verbrechen gezielte Provokationen darstellen. So äußerte Sergej Demidenko vom Institut für strategische Einschätzungen und Analyse gegenüber dem staatlichen Rundfunksender Stimme Rußlands: »Die Islamisten und die Monarchen des Persischen Golfs werden versuchen, Al-Assad endgültig zu zerschlagen, weil er vorläufig die einzige Kraft ist, die in der arabischen Welt noch ihr Opponent ist.« Dazu diene auch der gegen Syrien entfesselte »psychologische Krieg«.

Moskau ist inzwischen gemeinsam mit Peking zum wichtigsten Hindernis für eine ausländische Militärintervention in Syrien geworden, wie sie etwa Frankreichs Staatschef François Hollande oder die US-Administration kaum verhohlen androhen. So betonte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Donnerstag im kasachischen Astana noch einmal: »Ein Mandat für eine Intervention in Syrien von außen wird es nicht geben. Das kann ich Ihnen garantieren.« Beim dortigen Gipfeltreffen der Shanghai-Kooperationsorganisation (SCO) hatte Moskau bei seinen Verbündeten um Unterstützung für den Vorschlag einer Syrien-Konferenz geworben, mit der der Friedensplan des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan gerettet werden soll. »Wichtig ist, daß wir diese Idee nicht mit Erklärungen kippen, Verhandlungen mit jenen, die das Blutvergießen fördern, seien unmöglich. Entweder werden wir alle, von denen irgend etwas abhängt, am Verhandlungstisch versammeln, oder wir gehen endgültig zu der Ideologie über, daß das Regime an allem schuld und deshalb zu stürzen ist und alle anderen Engel sind.«

Dieses auch in den meisten westlichen Medien gepflegte Bild erhält zunehmend Kratzer. So berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Freitag, syrische Oppositionelle hätten aufgrund glaubwürdiger Zeugenaussagen den wahrscheinlichen Tathergang des Massakers in Hula, bei dem am 25. Mai 108 Menschen ermordet worden waren, rekonstruiert. »Ihr Ergebnis widerspricht den Behauptungen der Rebellen, die die regimenahen Schabiha-Milizen der Tat beschuldigt hatten«, schreibt das Blatt und weiter: »Da zuletzt Oppositionelle, die Gewalt ablehnen, ermordet oder zumindest bedroht worden sind, wollen die Oppositionellen ihre Namen nicht genannt sehen.«

Erschienen am 9. Juni 2012 in der Tageszeitung junge Welt und am 12. Juni 2012 in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek