Polizeiaktion im Morgengrauen

Mit der Festnahme von zwölf hochrangigen Funktionären der katalanischen Regionalregierung hat die spanische Zentralregierung am Mittwoch die Krise um das für den 1. Oktober vorgesehene Unabhängigkeitsreferendum weiter eskalieren lassen. Beamte der paramilitärischen Guardia Civil besetzten in den Morgenstunden zahlreiche Institutionen der Generalitat und inhaftierten unter anderem den Generalsekretär des Wirtschaftsministeriums, Josep Mara Jové, der als rechte Hand des katalanischen Vizepräsidenten Oriol Junqueras gilt. Ebenfalls festgenommen wurden Beamte des Finanz-, Arbeits- und Außenministeriums der Regionalregierung sowie des Büros von Ministerpräsident Carles Puigdemont.

Auf den Straßen Barcelonas versammelten sich spontan Tausende Menschen und protestierten mit der aus dem spanischen Bürgerkrieg bekannten Losung »No Pasarán!« (Sie werden nicht durchkommen) gegen die Polizeiaktion. Die Beamten in schwarzer Kampfmontur gingen ruppig gegen die gewaltfrei demonstrierenden Menschen vor, von denen viele rote Nelken in der Hand hielten und gemeinsam das Widerstandslied »L’Estaca« von Lluis Llach sangen.

Vertreter der Regionalregierung warfen Madrid vor, über Katalonien den Ausnahmezustand verhängt zu haben. »Dies ist eine weitere Demonstration dafür, dass dies ein echter Polizeistaat ist«, erklärte Junqueras, der auch Chef der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) ist. Ministerpräsident Puigdemont von der liberalen Demokratischen Partei (PDeCAT) erklärte, seine Regierung sei »das Opfer einer Aggression geworden, um zu verhindern, dass das Volk Kataloniens am 1. Oktober in Freiheit seine Meinung äußern kann«.

Am 6. September hatte das katalanische Parlament mit den Stimmen der aus ERC und PDeCAT gebildeten Regierungskoalition »Junts pel Sí« (Gemeinsam für das Ja) sowie der linksradikalen CUP (Kandidatur der Volkseinheit) für den 1. Oktober ein verbindliches Referendum über die Selbstbestimmung der Region einberufen. Wenn bei diesem eine Mehrheit der Teilnehmer mit »Ja« stimmt, soll das Parlament innerhalb von 48 Stunden die Unabhängigkeit der Katalanischen Republik ausrufen. Ein entsprechendes Übergangsgesetz haben die Abgeordneten bereits beschlossen.

Auf Antrag der spanischen Zentralregierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy hat das spanische Verfassungsgericht sowohl das Referendum als auch das Übergangsgesetz gestoppt. Diese Entscheidung war von der Unabhängigkeitsbewegung jedoch erwartet worden, denn in den vergangenen Jahren hatte Madrid auf diese Weise jeden Vorstoß Kataloniens in Richtung größere Eigenständigkeit blockiert. Das Referendum werde »so oder so« stattfinden, betonte Puigdemont. Zugleich zeigte sich der Regierungschef weiter gesprächsbereit. In einem gemeinsam mit Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau, Parlamentspräsidentin Carme Forcadell und Junqueras verfassten Brief an Rajoy forderte er die Zentralmacht zu Gesprächen auf, um eine Konsenslösung zu finden.

Der spanische Regierungschef, dessen Volkspartei (PP) wenige Monate nach dem Tod von Francisco Franco von führenden Vertretern der Diktatur gegründet worden war, ging auf diesen Vorschlag nicht ein. Statt dessen entwickelte sich in Katalonien ein Katz-und-Maus-Spiel. So besetzte die Guardia Civil am 9. September in Valls die Redaktionsräume der lokalen Wochenzeitung El Vallenc, weil man vermutete, dass dort Wahlzettel für das Referendum gedruckt würden. Von der Regionalregierung eingerichtete Internetseiten über die Volksabstimmung wurden gesperrt, Flugblätter und Plakate beschlagnahmt. In Madrid wurde von der Justiz eine in einem städtischen Gebäude geplante Informationsveranstaltung über die Lage in Katalonien verboten, zu der unter anderem Bürgermeisterin Manuela Carmena eingeladen hatte. Sie fand dann am vergangenen Sonntag in einem privaten Stadtteiltheater statt, und wurde zu einer beeindruckenden Solidaritätsdemonstration, denn da Hunderte Menschen in den Räumlichkeiten keinen Platz fanden, wurden die Statements von Vertretern katalanischer Organisationen und spanischer Linksparteien auf die Straße übertragen.

Erschienen am 21. September 2017 in der Tageszeitung junge Welt