Opposition im Labyrinth

Das Labyrinth ist seit Gabriel García Márquez eine gern benutzte Metapher für ausweglose Situationen in Lateinamerika. Hatte der Literaturnobelpreisträger den Irrgarten noch mit Venezuelas Nationalhelden Simón Bolívar in Verbindung gebracht, scheint sich heute die Opposition des südamerikanischen Landes in Sackgassen und Irrwegen verlaufen zu haben.

Monatelang hatten die Regierungsgegner nach »Wahlen« gerufen und sich beschwert, dass die Entscheidung über die Gouverneure der Bundesstaaten und der Regionalparlamente, die bereits im vergangenen Jahr fällig gewesen wäre, noch immer nicht angesetzt worden war. Diese Kritik hatten durchaus auch Regierungsanhänger geteilt, denn durch die nur mühsam zu rechtfertigende Verzögerung setzte Venezuelas Nationaler Wahlrat (CNE) seinen Ruf aufs Spiel, transparente und faire Wahlen zu gewährleisten. Diese Fähigkeit war ihm in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten international bestätigt worden, und aus den vielen Wahl­erfolgen schöpfte der Chavismus einen Großteil seiner Legitimation.

Nun hat der CNE den Termin für die Regionalwahlen auf den 10. Dezember gelegt. Das ist realistisch, denn ein früherer Zeitpunkt wäre kaum machbar – auch dann nicht, wenn es im Juli keine Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung geben würde. Die politischen Kräfte in den Bundesstaaten müssen ihre Kandidaten nominieren, vielfach durch Vorwahlen. Das braucht Zeit für Diskussionen und Verhandlungen.

Die ablehnende Reaktion der Opposition zeigt, dass es ihr eben nicht um demokratischen Wettbewerb geht. Vielmehr setzen die Regierungsgegner längst auf alles oder nichts: Staatschef Nicolás Maduro soll weg. Die einzigen Wahlen, die sie akzeptieren würden, wären Präsidentschaftswahlen. Die aber sind vor dem regulären Termin Ende 2018 nicht drin – sofern man die geltende Verfassung achtet. Denn selbst wenn Maduro heute seinen Rücktritt erklären würde, wäre es an seinem Vizepräsidenten, die Amtszeit zu Ende zu führen.

Die Opposition steht also vor einem Dilemma: Boykottiert sie die Constituyente und die Regionalwahlen, könnte sie am Ende mit leeren Händen dastehen. Beispiele dafür gibt es: 2005 boykottierten die Rechten die Parlamentswahlen – das Ergebnis war eine Nationalversammlung, die nahezu hundertprozentig vom Regierungslager dominiert wurde. Es lag an der Unfähigkeit und dem Unwillen der führenden chavistischen Kräfte, dass sie das nicht für eine sozialistische Umwälzung des venezolanischen Staates genutzt haben.

Heute fordert der linke Flügel des Regierungslagers in Venezuela, auf die Protest- und Gewaltwelle der Opposition mit einer Radikalisierung des Reformprozesses zu reagieren – und mobilisiert deshalb für eine »revolutionäre Constituyente«. Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn die rechte Opposition am Ende auf die Reformisten im Regierungslager hoffen müsste, um eine neue Offensive der Bolivarischen Revolution zu verhindern.

Erschienen am 29. Mai 2017 in der Tageszeitung junge Welt