Opposition hofft

Knapp 6500 Menschen wollen sich am 26. September um die 165 Sitze der venezolanischen Nationalversammlung bewerben. Am heutigen Donnerstag entscheiden die regionalen Wahlausschüsse in dem südamerikanischen Land darüber, wer von denjenigen, die sich bis zum vergangenen Wochenende als Kandidaten eingeschrieben haben, tatsächlich auf den Stimmzetteln auftauchen wird. Für manche wird der Traum vom Mandat dann schon ausgeträumt sein. Bereits in der vergangenen Woche hatte die Contraloría General, eine grob mit dem Bundesrechnungshof vergleichbare Einrichtung, die aber weitergehende Befugnisse hat, den Ausschluß von acht Kandidaten angekündigt. Zu den Betroffenen gehören drei wegen ihrer Verwicklung in den Putschversuch vom 11. April 2002 zu 30 Jahren Haft verurteilte Polizisten, aber auch mehrere frühere Gouverneure, denen Veruntreuung und Korruption während ihrer Amtszeit zur Last gelegt wird. Zwei Vertreter der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) zählen ebenfalls zu den Ausgeschlossenen. Trotzdem sieht die Opposition wie schon bei früheren Wahlen in diesen Maßnahmen Versuche einer »bereits geschlagenen« Regierung, Einheitskandidaturen der Opposition zu verhindern.

Bei der Wahl werden sich im wesentlichen zwei Blöcke gegenüberstehen. Nach dem Ausscheiden der Partei Heimatland für alle (PPT) aus dem Regierungslager, die nun als »dritte Kraft« antreten will, bilden die PSUV, die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) und die kleine linkssozialdemokratische Wahlbewegung des Volkes (MEP) zusammen mit regionalen Gruppierungen ein Bündnis, um die Mehrheit der Linken im venezolanischen Parlament zu verteidigen. Auf Schützenhilfe durch einen Boykott der Opposition wie bei der letzten Wahl 2005 können sie diesmal jedoch nicht rechnen.

Die 21 in der rechten »Einheit Venezuela« zusammengeschlossenen Parteien hoffen vielmehr darauf, dem Regierungslager die Mehrheit im Parlament abzujagen und so dem Präsidenten Hugo Chávez das Leben schwermachen zu können. »Zum ersten Mal sehen wir die Regierung in der Defensive. Die Erfahrung der Regionalwahlen 2008 zeigt, daß die Einheit die Garantie für den Sieg ist«, erklärt auf der Homepage des Oppositionsbündnisses beispielsweise der Parteichef von »La Causa R«, Andrés Velásquez. Vor zwei Jahren hatte die Opposition dem Regierungslager einige wichtige Provinzen abjagen können.

Auch wenn in Umfragen die Opposition momentan leicht vorne liegt, sind Prognosen kaum möglich. Traditionell ist die Beteiligung an den Parlaments- und Kommunalwahlen in Venezuela deutlich geringer als etwa dann, wenn es um einen neuen Präsidenten geht. Vor fünf Jahren nahm – auch bedingt durch den Boykott der Opposition – nur jeder vierte an der Abstimmung teil. Und sogar im Jahr 2000, als gleichzeitig auch der Präsident gewählt wurde, gab nur etwas mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Datanálisis, José Antonio Gil Yépez, erinnert deshalb auch daran, daß es ähnliche Umfrageergebnisse bereits vor den Abstimmungen über die Verfassungsreform 2007 und die Verfassungsänderung 2009 gegeben hatte. Beim ersten Referendum hatten sich die Regierungsgegner am Ende hauchdünn durchsetzen können, während das Votum Anfang 2009 vom Chávez-Lager mit zehn Prozentpunkten Vorsprung gewonnen werden konnte.

Die politische Debatte in Venezuela wird gut drei Monate vor der Parlamentswahl vor allem durch Engpässe bei der Lebensmittelversorgung geprägt. In der vergangenen Woche war der frühere Chef des staatlichen Lebensmittelvertriebs PDVAL, Luis Enrique Pulido, festgenommen worden, nachdem Ende Mai in dessen Lagerhallen im Ort Puerto Cabello rund 70000 Tonnen Lebensmittel mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum gefunden worden waren. Der Opposition kommen solche Schwierigkeiten gerade recht. Der Generalsekretär der rechtspopulistischen Partei Primero Justicia, Tomás Guanipa, griff den Präsidenten Chávez an, er habe auf seinem »marxistischen Weg« in den vergangenen Monaten einen »Wirtschaftskrieg gegen das Volk« entfesselt. Die Regierung wiederum wirft der Opposition nahestehenden Lebensmittelkonzernen vor, Waren künstlich zu verknappen und lieber teuer auf dem Schwarzmarkt als zu regulierten Preisen in den Supermärkten zu verkaufen. Als Reaktion darauf begann die Regierung am Montag mit der Enteignung und Verstaatlichung von 18 Lebensmittelunternehmen, die meisten von ihnen in der Hauptstadt Caracas.

Erschienen am 10. Juni 2010 in der Tageszeitung junge Welt und am 11. Juni 2010 in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek