Opposition hat es eilig

In Venezuela ziehen sich die Auseinandersetzungen um das von der Opposition beantragte Amtsenthebungsreferendum gegen Staatspräsident Nicolás Maduro weiter hin. Für Mittwoch (Ortszeit) hatten Sprecher der Regierungsgegner zu Protesten vor den Büros des Nationalen Wahlrats (CNE) aufgerufen. Die Behörde ist für die ordnungsgemäße Durchführung von Abstimmungen in dem südamerikanischen Land verantwortlich, und die Regierungsgegner werfen ihr vor, den Prozess zu verschleppen.

Aktuell geht es um die Gültigkeit der von der Opposition zur Beantragung des Referendums gesammelten Unterstützungserklärungen. Im Juni hatte der CNE 1,3 Millionen Unterschriften anerkannt. Mehr als 350.000 Unterschriften wurden für ungültig erklärt. Meist ging es dabei um technische Fehler, doch in fast 11.000 Fällen tauchten in den Listen längst verstorbene Personen auf, die trotzdem angeblich gegen Maduro unterzeichnet hatten. Hinzu kommen immer wieder Vorwürfe, dass die Unterschriften von Wahlberechtigten gefälscht worden seien. Deshalb mussten bis zum 26. Juli mindestens 200.000 durch die Unterzeichner per Fingerabdruck beglaubigt werden, um Manipulationen zu verhindern. Am kommenden Montag will der CNE die Ergebnisse der Beglaubigung mitteilen. Dann kann die eigentliche Unterschriftensammlung für den Sturz Maduros beginnen. Wenn es der Opposition dabei gelingt, dass sich 20 Prozent der Wahlberechtigten – etwa vier Millionen Menschen – für eine Abberufung des Staatschefs aussprechen, kommt es zu einem Referendum.

Vorwürfe der Regierungsgegner, der ganze Prozess werde absichtlich verzögert, werden von der Behörde zurückgewiesen. Man halte sich strikt an die seit 2007 geltenden Normen, betonte CNE-Präsidentin Tibisay Lucena am Sonntag im privaten Fernsehsender Televen. Ihre Behörde habe keine Möglichkeit, den Ablauf zu bremsen oder zu beschleunigen. Der Opposition geht es darum, das Referendum noch 2016 durchzuführen, denn nur dann gäbe es bei einem Sturz Maduros Neuwahlen. Mitte Januar beginnen die letzten zwei Jahre der aktuellen Amtszeit des Staatschefs, und die Verfassung sieht vor, dass ab dann der Vizepräsident die Amtsgeschäfte des Staatschefs übernehmen würde.

Hinzu kommt, dass die Regierungsgegner den Zeitpunkt für einen Sturz Maduros jetzt für so günstig wie nie halten. Die anhaltende Wirtschaftskrise und Versorgungsengpässe haben dazu geführt, dass Kritik an der Exekutive auch unter Linken zunimmt. So stellten sich in der vergangenen Woche drei ehemalige Minister des 2013 verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez – Héctor Navarro, Ana Elisa Osorio und Gustavo Márquez – hinter die Forderung nach einem Amtsenthebungsreferendum, das ohne Behinderungen durchgeführt werden müsse. Man sei zwar links und »prosozialistisch«, aber nicht dogmatisch. Man akzeptiere weder das vom Oppositionsbündnis MUD (Tisch der demokratischen Einheit) vertretene »Projekt«, noch die »Abweichungen und Missgriffe« des Kabinetts von Nicolás Maduro. Dagegen unterstrich der frühere Planungsminister Jorge Giordani, der 2014 mit scharfer Kritik am Kurs der Regierung seinen Rücktritt erklärt hatte, seine »Loyalität« gegenüber Maduro. Er forderte Maßnahmen wie die Nationalisierung der Finanzinstitute und des Außenhandels, radikale Reformen in der Wirtschafts- und Steuerpolitik sowie eine Mobilisierung der internationalen Solidarität gegen die Attacken des Imperialismus. Offenbar mit Blick auf seine ehemaligen Kollegen, mit denen er mehrfach gemeinsam aufgetreten war, betonte Giordani jedoch: »Niemals und unter keinen Umständen werden wir uns für irgendein Manöver oder irgendwelche indirekten oder verdeckten Allianzen gegen die gegenwärtige rechtmäßige Regierung und die Entwicklung des politischen und sozialen Veränderungsprozesses hergeben«.

Der Caracas-Korrespondent der britischen BBC, Daniel Pardo, veröffentlichte in der vergangenen Woche auf der spanischsprachigen Homepage seines Senders einen Artikel »Fünf Mythen über die Krise in Venezuela (und was wirklich passiert)«. Pardo, der kein Freund der Regierung Maduro ist, führt darin an, dass der Staatschef nach aktuellen Umfragen trotz der großen Unzufriedenheit von 20 bis 30 Prozent der Venezolaner unterstützt wird. »Das ist jedenfalls mehr Unterstützung als die Präsidenten von Brasilien, Chile oder Kolumbien genießen«, so Pardo. Hinzu kommt, dass der »Chavismo«, die vom 2013 verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez inspirierte Bewegung, nach wie vor von 60 Prozent unterstützt werde. »Wie hart auch die Krise sein mag, ein Ende des Chavismo ist deshalb schwer vorstellbar.« Dafür spricht auch ein Blick zurück: 2004 gewann Hugo Chávez ein von der Opposition angestrengtes Amtsenthebungsreferendum mit 59,1 Prozent der Stimmen. In den Monaten zuvor hatten Meinungsumfragen Zustimmungswerte von nur 28 Prozent für den Staatschef ergeben.

Erschienen am 28. Juli 2016 in der Tageszeitung junge Welt