OAS immer mit dabei

Alarmierende Bilder erreichen uns aus Bolivien: Vermummte Polizisten, die der Regierung die Gefolgschaft aufkündigen und ihr den Schutz verweigern. Angriffe auf Radio- und Fernsehstationen, Brandanschläge auf Wohnhäuser, Parteibüros und Behörden. Der Direktor eines gewerkschaftseigenen Rundfunksenders wird an einen Baum gefesselt und misshandelt.

Vorgeblich geht es der Opposition des südamerikanischen Landes darum, angebliche Manipulationen bei der Präsidentschaftswahl vom 20. Oktober anzuprangern. Dem offiziellen Ergebnis zufolge hatte Staatschef Evo Morales diese mit mehr als zehn Prozentpunkten Vorsprung gewonnen, wodurch er eine Stichwahl vermeiden konnte.

Angesichts der laut gewordenen Zweifel lud Morales die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ein, die Ergebnisse zu kontrollieren. Vereinbart wurde, dass der Bericht einer Expertenkommission der Regierung zugestellt wird. Statt dessen veröffentlichte ihn die OAS am Sonntag vorzeitig – inmitten der eskalierenden Gewalt in Bolivien. Da in der Studie tatsächlich eine Reihe von technischen Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Wahl aufgelistet werden, wollte in Washington offenkundig jemand Öl in das Feuer gießen.

Dafür spricht, wie sich die OAS in den vergangenen Monaten bei den verschiedenen Konflikten in Lateinamerika verhalten hat – von einheitlichen Maßstäben kann keine Rede sein. So war die von Generalsekretär Luis Almagro angeführte Organisation Anfang des Jahres in Venezuela mit immer neuen Vorwürfen gegen Präsident Nicolás Maduro und der Anerkennung des Oppositionspolitikers Juan Guaidó als »Staatschef« die Speerspitze des bislang gescheiterten Regime-Change. Kaum ein Wort dagegen zur anhaltenden Serie von Morden an Menschenrechtsaktivisten und ehemaligen FARC-Guerilleros in Kolumbien. Schweigen zur brutalen Niederschlagung der Proteste in Haiti. Keine Stellungnahmen zur Krise in Chile, wo nach offiziellen Zahlen mindestens 23 Menschen getötet wurden. Däumchendrehen, wenn es um die rassistische Migrationspolitik der US-Administration von Donald Trump geht.

Mit seiner Ankündigung von Neuwahlen hat Evo Morales am Sonntag das Manöver der OAS und der Putschisten für den Moment durchkreuzt, die auf eine weitere Zuspitzung gesetzt haben, um einen Staatsstreich des Militärs zu rechtfertigen. Den Wahlprozess von Anfang an neu zu beginnen, kann dem Land Zeit zur Beruhigung verhelfen – und die Kräfte neu sortieren. So hat Morales in seiner Ansprache am Sonntag morgen von »neuen politischen Akteuren« gesprochen – und offengelassen, ob er selbst noch einmal antreten wird.

Es ist allerdings kaum anzunehmen, dass seine Widersacher bereit sind, zur Entspannung beizutragen. Der oft von rassistischen Vorbehalten gegen die »Indios« geleiteten Rechten ging es nie um »saubere Wahlen«. Ziel war und ist der Sturz des verhassten Präsidenten und die Wiederherstellung eines Regimes, in dem die Indígenas ausgegrenzt und mundtot gemacht sind. Das haben die Putschisten mit den Angriffen auf staatliche und gewerkschaftliche Medien schon vorweggenommen. Die OAS wird ihnen dabei nicht in die Quere kommen.

Erschienen am 11. November 2019 in der Tageszeitung junge Welt