NSA spitzelt, Berlin lenkt ab: Haltet den Dieb!

Geheimdienste aus den USA und Großbritannien überwachen auch die verschlüsselte Internetkommunikation, berichten Guardian und New York Times. Eine wirkliche Überraschung ist das nicht mehr. Und gewöhnt haben wir uns auch schon an das hektische Nichtstun der Regierenden. Doch Merkel, Friedrich und ihresgleichen kommt der Skandal um die NSA vermutlich gar nicht ungelegen. Die Bösen sitzen weit weg, in der NSA-Zentrale in Fort Meade, Maryland, USA, und im Hauptquartier des britischen GCHQ in Cheltenham. Solange sich die Aufregung nur um die Spitzel von dort dreht, kann die Bundesregierung auch Kritik an ihrem tatsächlichen oder vermeintlichen Nichtstun mit einem Schulterzucken aussitzen.

 

Gefährlich würde es für die Koalition gerade im Wahlkampf erst dann, wenn die Aufmerksamkeit mehr auf die deutschen Gegenstücke zu NSA und GCHQ gelenkt würde. Doch Informationen Snowdens, wonach »die Deutschen« mit der NSA »unter einer Decke« stecken, schafften es zwar Anfang Juli auf das Titelblatt des Spiegel, verschwanden dann aber auffällig schnell wieder aus den Medien. Drei Tage später gab Bild mit der rhetorischen Schlagzeile »Hat Snowden total übertrieben?« Entwarnung.

Doch aus der Antwort der Bun­desregierung auf eine kleine Anfrage des Linken-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko geht nun hervor, daß die Bespitzelung von Handynutzern in Deutschland massiv ausgeweitet wird. Allein zwischen 2012 und heute hätten sich die Ausgaben für Überwachungsvorrichtungen wie »Stille SMS« oder »IMSI-Catcher« verdoppelt, hieß es aus dem Innenministerium. Gegen wen sich die Schnüffelangriffe im Inland richten, wurde schon 2011 deutlich. Damals wurde bekannt, daß die Polizei im Umfeld der Proteste gegen die Neonaziaufmärsche in Dresden Zehntausende Telefonanschlüsse kontrolliert hatte. Die Unternehmen hatten mehr als eine Million Verbindungsdaten an die Sicherheitsbehörden übermitteln müssen.

Ganz nebenbei dürfte sich auch analog nichts gebessert haben. Linke Organisationen und Medien werden weiterhin vom »Verfassungsschutz« bespitzelt, der aus solchen »Erkenntnissen« dann jährlich seine lächerlichen Berichte zusammenbastelt. In Bayern wird von Bewerbern im öffentlichen Dienst bis heute ein »Nachweis der Verfassungstreue« verlangt, wie auf der Homepage des Justizministeriums zu lesen ist. Dessen Chefin Beate Merk hatte ihre eigene Verfassungstreue zuletzt durch die monatelange Behinderung einer Freilassung von Gustl Mollath (»Er sitzt in der Psychiatrie, weil er gefährlich ist.«) unter Beweis gestellt. Nicht »verfassungstreu« sind hingegen – wie ebenfalls auf der Internetseite nachzulesen ist – Mitglieder von solch gefährlichen Organisationen wie der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, des Münchner Bündnisses gegen Krieg und Rassismus oder sogar der Deutschen Friedensunion, deren Auflösung um 1990 die Spitzel offenbar völlig verschlafen haben.

Erschienen am 7. September 2013 in der Tageszeitung junge Welt