junge Welt, 11. Februar 2013

»Nicht unsere Schulden«

junge Welt, 11. Februar 2013Mehr als 100 000 Menschen haben am Sonnabend in mehreren Städten Irlands gegen die »Bankenrettung« demonstriert. Der Gewerkschaftsbund ICTU, der zu den Kundgebungen aufgerufen hatte, zählte allein in der Hauptstadt 60 000 Teilnehmer. 15000 Menschen demonstrierten in Cork, 13000 in Waterford, 10000 in Limerick, 7000 in Sligo und 5000 in Galway.

 

Obwohl die Aktionen bereits vorher angekündigt worden waren, richtete sich der Protest auch gegen ein am Mittwoch zwischen dem Kabinett von Ministerpräsident Enda Kenny, der irischen Notenbank und der Europäischen Zentralbank ausgehandeltes Abkommen, durch das Dublin kurzfristig von Zinszahlungen in Milliardenhöhe entlastet werden soll. 2009 hatte die Regierung der Anglo Irish Bank Schuldscheine (Solawechsel) in Höhe von 30 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, die sie an die Notenbank verpfändete. Dafür sollten bis 2023 jährlich 3,1 Milliarden Euro an Zinsen fällig werden. Nun sollen die Solawechsel durch Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 40 Jahren ersetzt werden, die zwischen 2038 und 2053 zurückgezahlt werden müssen. Im kommenden Jahrzehnt würde Dublin damit um 20 Milliarden Euro entlastet, freute sich Kenny. Doch tatsächlich wird »die nächste Generation für die Kosten geradestehen müssen«, wie Alfie Murray, der in Dublin mit seinem achtjährigen Enkel an der Demonstration teilnahm, einem Reporter der Nachrichtenagentur Reuters sagte.

ICTU-Generalsekretär David Begg erklärte bei der Kundgebung in Dublin, jeder Ire habe bereits 9000 Euro für die »Bankenrettung« ausgegeben. Insgesamt habe sein Land schon 41 Milliarden Euro für die Finanzkrise gezahlt, »mehr als Deutschland, Großbritannien, Spanien oder Portugal«. Das müsse reichen. »Wir haben 2008 in einem Akt außerordentlicher Solidarität das europäische Bankensystem gerettet, jetzt wollen wir Solidarität zurückbekommen«, so Begg. Die Erfolgsmeldungen in der irischen Presse über das erzielte Abkommen seien falsch: »Neues Abkommen, altes Problem: 1,8 Millionen Menschen können nicht Bankschulden in Höhe von 64 Milliarden Euro bezahlen, vor allem, wenn sie nicht daran beteiligt waren, sie anzuhäufen.«

In einer im Vorfeld der Demonstrationen verbreiteten Erklärung unterstützte die Kommunistische Partei Irlands (CPI) zwar die Aktionen, kritisierte aber die Argumentation der Gewerkschaft. Diese entlasse Dublin aus der Verantwortung: »Die ICTU hat offensichtlich vergessen, daß es die Regierung war, die im Dezember 2012 den schrecklichen Haushalt beschlossen hat, der die Ärmsten und Schwächsten überproportional belastet, während die Wohlhabenden relativ ungeschoren davonkommen.« Das Kabinett habe die Alternative, statt »blinden Gehorsams« gegenüber den europäischen Bankinstitutionen einen anderen Weg einzuschlagen und die Zahlung der Schulden zu verweigern, so die CPI. »Wir können die 3,1 Milliarden Zinsen nicht zahlen, und wir sollten das auch nicht tun. Es sind keine Schulden der Gewerkschafter, Gemeinden oder Erwerbslosen – sie gehören den Spekulanten.«

Für die Linkspartei Sinn Féin kritisierte deren Sprecher Aengus Ó Snodaigh nach der Demonstration in Dublin, die Regierung habe mit dem Abkommen eine »historische Chance« vertan. Statt dessen habe sie die Belastung für die Bevölkerung auf die nächsten Jahrzehnte ausgedehnt. »Das sogenannte Abkommen bedeutet nichts für die Familien, die darum kämpfen müssen, über die Runden zu kommen.«

Erschienen am 11. Februar 2013 in der Tageszeitung junge Welt