»Neue Zeitrechnung«

Nach fünfstündigen Verhandlungen haben sich die Präsidenten von Venezuela und Kolumbien, Nicolás Maduro und Juan Manuel Santos, am Montag (Ortszeit) in Quito auf Maßnahmen geeinigt, um die seit Wochen angespannten Beziehungen zwischen den beiden südamerikanischen Ländern zu normalisieren. Zu dem Gipfeltreffen hatte Ecuadors Präsident Rafael Correa eingeladen, der aktuell den Vorsitz der Lateinamerikanischen und Karibischen Staatengemeinschaft (CELAC) ausübt. Als Vermittler im Namen der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) war auch Uruguays Staatschef Tabaré Vázquez nach Quito gereist.

Als Sofortmaßnahme vereinbarten Maduro und Santos, dass ihre Botschafter wieder zurück auf ihren jeweiligen Posten geschickt werden. Die Diplomaten waren bei Ausbruch der Krise im August »zu Konsultationen« nach Hause gerufen worden. In einer von Correa verlesenen Erklärung verpflichten sich Venezuela und Kolumbien zudem, die Probleme an der gemeinsamen Grenze »auf der Grundlage gegenseitigen Respekts und unter Wahrung des Völkerrechts« zu lösen. So soll eine »harmonische Koexistenz« zwischen den Wirtschafts- und Gesellschaftsmodellen der beiden Länder angestrebt werden. Mit Unterstützung von CELAC und UNASUR soll zudem die Situation an der Grenze untersucht werden. Dazu wollen Regierungsvertreter beider Länder am Mittwoch in Caracas zusammenkommen, um die wichtigsten Streitfragen zu diskutieren.

Venezuela hatte Mitte August die Grenze zu Kolumbien teilweise geschlossen, nachdem es im Bundesstaat Táchira zu Gefechten zwischen den Grenztruppen und paramilitärischen Banden aus dem Nachbarland gekommen war. Zuvor war die Lage in der Region bereits angespannt gewesen, weil organisierte Banden in großem Ausmaß subventionierte Lebensmittel und andere Waren des täglichen Bedarfs aus Venezuela nach Kolumbien geschmuggelt und dort zu höheren Preisen verkauft hatten. Der Schwarzhandel hatte die in der Bolivarischen Republik bestehende Warenknappheit und die Inflation verschärft. In der Vergangenheit war Venezuela zudem immer wieder durch den im Nachbarland tobenden Bürgerkrieg in Mitleidenschaft gezogen worden. Vor allem ultrarechte Paramilitärs ließen sich auch in Táchira anheuern, um Gewerkschafter oder Anführer von Bauernbewegungen zu ermorden. Nun hofft Maduro auf »eine neue Zeitrechnung in den Beziehungen mit Kolumbien«.

Erschienen am 23. September 2015 in der Tageszeitung junge Welt