Neue Kraftprobe

Venezuela bereitet sich auf eine neue Kraftprobe vor. Wenn es zu keinen unvorhergesehenen Verzögerungen kommt, werden die Abgeordneten des venezolanischen Parlaments, der Nationalversammlung, am Freitag den von ihnen in zweiter Lesung verabschiedeten Antrag auf eine Änderung der Verfassung beim Nationalen Wahlrat (CNE) einreichen, der dann 30 Tage Zeit hat, eine Volksabstimmung durchzuführen. In Venezuela gilt es als ausgemacht, daß das Referendum am 15. Februar stattfinden wird.

Wiederwahl für alle

Ursprünglich sollte durch die Verfassungsänderung lediglich dem amtierenden Präsidenten ermöglicht werden, auch nach zwei Amtszeiten erneut für das höchste Staatsamt zu kandidieren. Chávez selbst habe zwar von Anfang an dafür plädiert, die Möglichkeit der Wiederwahl auch für Gouverneure, Bürgermeister und Abgeordnete zu ermöglichen. Eine Mehrheit der PSUV-Spitze habe sich jedoch mit der Meinung durchgesetzt, die Verfassungsänderung auf die Wiederwahl der Präsidenten zu beschränken, was dann auch die offizielle Partei- und Regierungslinie wurde.

Nach massiver Kritik aus den Reihen der Kommunistischen Partei (PCV) und der Partei »Heimatland für alle« (PPT) – die sogar ihre Unterstützung beim Referendum in Frage stellte – überraschte Chávez dann Anfang Januar mit einem Kurswechsel, der von seiner Partei prompt nachvollzogen wurde. Die Verfassungsänderung soll nun doch auf allen Ebenen die bestehenden Beschränkungen für wiederholte Kandidaturen aufheben. Die vom Parlament vorgeschlagene Frage, über die im Februar abgestimmt werden soll, lautet deshalb nun: »Stimmen Sie der Erweiterung der politischen Rechte der Venezolanerinnen und Venezolaner im Sinne der auf Initiative der Nationalversammlung vorgenommenen Änderung der Artikel 230, 192, 174, 170 und 162 der Verfassung der Bolivarischen Republik Venezuela zu, um ihnen die Kandidatur zu allen durch allgemeine Wahlen vergebenen Ämter zu ermöglichen, wodurch ihre Wahl ausschließlich Ausdruck der Stimme des Volkes ist?«

Der rechten Opposition Venezuelas ist damit ihr wichtigstes Argument gegen die Verfassungsänderung abhanden gekommen. Trotzdem wollen sie die erneute Abstimmung nutzen, um ihren Erfolg vom Dezember 2007 zu wiederholen, als die damals von Chávez vorgeschlagene Verfassungsreform im Referendum knapp abgelehnt wurde. Dabei rechnen sie auf die tat- und zahlkräftige Unterstützung durch die USA.

Wie ein junger Reporter des in Caracas beheimateten regionalen Fernsehsenders Ávila-TV enthüllte, trafen sich in Puerto Rico führende Vertreter von venezolanischen Oppositionsparteien sowie der Chef des Fernsehsenders Globovisión, Alberto Federico Ravell, mit dem Geschäftsträger der US-Botschaft, John Patrick Caulfield. Der Fernsehjournalist Pedro Carvajalino überraschte die heimkehrenden Politiker am Flughafen Maiquetia und erkundigte sich nach dem Grund ihres Besuchs in Puerto Rico. Der auf diese Frage offenbar nicht vorbereitete Globovisión-Chef wurde vor laufender Kamera ausfallend, beleidigte den Reporter und versuchte, ihn lächerlich zu machen. Die Aufnahmen des so aus der Rollen fallenden Senderchefs wurden daraufhin vom staatlichen Fernsehen Venezuelas mehrfach ausgestrahlt.

In größere Schwierigkeiten als dieses Video dürfte die Oppositionspolitiker jedoch der Text einer ebenfalls von Ávila-TV verbreiteten E-Mail bringen, die Ravell im Vorfeld des Treffens an seine Kollegen geschickt hatte. Darin schreibt er u. a.: »Unser Freund von der Botschaft fährt einen Tag früher (nach Puerto Rico). Die Beratergruppe hat in diesen Tagen sehr hart gearbeitet und wird eine ganze strategische Kampagne vorstellen, mit Ideen für Fernsehspots, Veranstaltungen und Reden. Sie haben Ideen mit den wichtigsten Beratern der USA ausgetauscht, und ich glaube, wir können von A bis Z alles klarmachen, um der Verfassungsänderung zu begegnen. Das einzige, über das wir sprechen müssen, sind die Kosten, obwohl sie gering sind –etwa drei Millionen Dollar für die Produktion – die wir unter allen aufteilen müssen«.

Große Zustimmung

Unterdessen wurde in Caracas die Unterschriftensammlung zur Unterstützung der Verfassungsänderung abgeschlossen. An den unzähligen Sammelpunkten in der Hauptstadt Caracas und vielen anderen Städten des Landes wurden offiziellen Angaben zufolge mehr als sechs Millionen Unterschriften gesammelt, mit denen Venezolanerinnen und Venezolaner ihre Unterstützung für das Vorhaben bekunden. Das wären fast 50 Prozent mehr Menschen, als im Dezember 2007 für die Verfassungsreform gestimmt haben und auch mehr Menschen, als bei den Regionalwahlen im vergangenen November die PSUV oder verbündete Parteien gewählt haben.

Erschienen am 15. Januar 2009 in der Tageszeitung junge Welt