Neue Gewerkschaft

In Venezuela soll am heutigen Donnerstag ein neuer Gewerkschaftsbund gegründet werden. Rund 3500 Delegierte aus dem ganzen Land werden sich als Vertreter von 17 Branchenverbänden in einem Sportzentrum in Maiquetia, nahe dem internationalen Flughafen der venezolanischen Hauptstadt Caracas, zusammenfinden, um die neue »Sozialistische Arbeiterzentrale« (CST) aus der Taufe zu heben. Das kündigte der Vorsitzende der Gewerkschaft für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst FETRASEP, Franklin Rondón, gegenüber dem staatlichen Fernsehen VTV an.

Die zersplitterte Arbeiterbewegung in Venezuela ist vor allem in unzähligen Betriebsgewerkschaften organisiert, von denen nur ein Teil politisch orientiert ist und sich einem der überregionalen Dach- oder Branchenverbände angeschlossen hat. Zu diesen zählten bislang vor allem die sozialdemokratische und in strikter Opposition zur Regierung von Präsident Hugo Chávez stehende CTV sowie die 2003 als linke Alternative gegründete UNETE. Letztere kritisiert die bevorstehende Gründung des neuen Gewerkschaftsbundes bereits als spalterisch. Diese Gruppierung diene lediglich den Interessen der Regierungspartei PSUV, ihr fehle es an gewerkschaftlicher Autonomie, bemängelte etwa UNETE-Funktionär Servando Carbone gegenüber der Tageszeitung El Mundo.

Das weist Will Rangel, der Vorsitzende der an der neuen Dachorganisation beteiligten Öl- und Gasarbeitergewerkschaft FUTPV, zurück. »Die Autonomie entsteht aus der tatsächlichen Beteiligung der Arbeiter, die mit ihrer Stimme ihre Anführer legitimieren«, sagte er derselben Zeitung, und spielte damit darauf an, daß die UNETE seit ihrer Gründung noch keine Wahl ihrer Führung durch die Mitglieder hinbekommen hat. Grund dafür war die innere Zerrissenheit der linken Gewerkschaft, in der regierungsnahe, trotzkistische, kommunistische und andere Strömungen um die Vorherrschaft kämpften. Mittlerweile hat sich dabei offenbar eine Gruppierung um die Nationalkoordinatorin Marcela Máspero durchgesetzt, die einerseits zwar die Regierung von Präsident Hugo Chávez unterstützt, sich andererseits aber auch dann nicht den Mund verbieten läßt, wenn es um Kritik an den Arbeitsbedingungen in staatlichen Betrieben oder in der öffentlichen Verwaltung geht. Während sie dabei von der kommunistischen Strömung CCT unterstützt wird, ist die trotzkistische C-CURA inzwischen offen in das Lager der Regierungsgegner übergelaufen.

Vor diesem Hintergrund setzt die Führung der von Chávez gegründeten Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) um Außenminister Nicolás Maduro nun offenbar auf die Schaffung einer neuen, eng an die Regierung angebundene Gewerkschaft. Gegenüber El Mundo räumte Will Rangel ein, daß alle derzeit als Sprecher der neuen Gewerkschaft auftretenden Aktivisten Mitglieder der PSUV sind. »Die neue Zentrale muß nicht nur sozialistisch, revolutionär und klassenbewußt sein, sondern auch antiimperialistisch, und muß sie die Geopolitik der Regierung des Präsidenten Chávez unterstützen«, erklärte er. Man schließe zwar keinen Arbeiter aus, der nicht der PSUV angehöre, »aber er muß natürlich an das System glauben, das wir vorschlagen«.

Während in Maiquetia die Delegierten der neuen Gewerkschaftszentrale ihre Organisation gründen, rufen die UNETE und andere Organisationen zeitgleich zu einer landesweiten Arbeiterdemonstration im Zentrum von Caracas auf. Diese Aktion soll sich gegen bürokratische Strukturen in Teilen des Regierungsapparats richten und »mehr Sozialismus und Revolution« fordern. Auch die Kommunistische Partei unterstützt die Demonstration. Sie kritisiert, daß die Abgeordneten der PSUV in der Nationalversammlung noch immer eine Verabschiedung des seit Jahren diskutierten neuen Arbeitsgesetzes blockieren. Die darin vorgesehenen »Sozialistischen Arbeiterräte« haben sich in einigen Betrieben mittlerweile auf eigene Faust gebildet und rufen ebenfalls zur Beteiligung an der Aktion in Caracas auf.

Erschienen am 10. November 2011 in der Tageszeitung junge Welt