Nervenkrieg in Honduras

Honduras erlebte in den vergangenen zwei Wochen einen Nervenkrieg. Mit immer neuen Winkelzügen versuchte das Regime der Putschisten, eine Vereinbarung mit der rechtmäßigen Regierung des am 28. Juni gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya zu verzögern. So hatte der von den Putschisten als "Übergangspräsident" eingesetzte Roberto Micheletti gefordert, der Oberste Gerichtshof solle über eine Wiedereinsetzung Zelayas entscheiden, die selben Richter also, die auch den Staatsstreich legitimiert hatten. Neuester Winkelzug war am Montagabend (Ortszeit) dann der Vorschlag, die Delegationen sollten offizielle Berichte des Parlaments und des Gerichts abwarten, bevor die Delegationen dann auf dieser Grundlage eine Entscheidung treffen. Ganz offensichtlich geht es dem Regime nur darum, Zeit zu gewinnen, um die für den 29. November geplante Präsidentschaftswahl kontrollieren zu können. Die Verhandlungen hatten am 7. Oktober in Anwesenheit mehrerer lateinamerikanischer Außenminister begonnen und waren bis Redaktionsschluss noch nicht abgeschlossen.Dabei hatten sich die Unterhändler dem Vernehmen nach bereits in "90 Prozent der Punkte" geeinigt.

Zu den Vereinbarungen gehörten sowohl ein Verzicht auf Straffreiheit wie auch eine Absage an die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung. Das Ziel, eine neue Verfassung auszuarbeiten, durch die dem honduranischen Volk mehr Mitspracherechte eingeräumt werden sollten, war der eigentliche Auslöser für den Putsch gewesen. Mit dem Staatsstreich hatten das Militär und die Eliten der bürgerlichen Parteien eine von Zelaya angesetzte Volksbefragung verhindert, bei der erkundet werden sollte, ob die Bürgerinnen und Bürger bei den für den 29. November geplanten Wahlen in einer "vierten Urne" auch über die Einberufung einer solchen verfassunggebenden Versammlung entscheiden wollten. Der Gewerkschafter Juan Barahona, der als Vertreter der Widerstandsbewegung zu Zelayas Verhandlungsteam gehört hatte, nahm den Verzicht auf eine solche "Constituyente" zum Anlass, um aus der Delegation zurückzutreten. Die Ausarbeitung eines neuen Grundgesetzes sei das eigentliche Ziel der Widerstandsbewegung und auf das könne er nicht verzichten, betonte Barahona. Auch wenn Zelaya wieder in seinem Amt sei, werde der Kampf um die verfassunggebende Versammlung weitergehen.

Keine Hoffnungen setzt auch die Linkspartei "Demokratische Vereinigung" (UD) mehr in die Verhandlungen mit den Putschisten. Am Montag beschloss die Führung der drittstärksten der fünf relevanten Parteien des Landes, sich definitiv nicht an den Wahlen zu beteiligen, wenn Zelaya nicht wieder in sein Amt eingesetzt werde, da die Wahlen ansonsten verfassungswidrig seien. Eine entsprechende Mitteilung übermittelten sie auch an Zelaya, der sich seit dem 21. September in der brasilianischen Botschaft in Tegucigalpa aufhält. Am Wochenende zuvor hatte der rechtmäßige Präsident die UD und deren Präsidentschaftskandidaten César Ham sowie den unabhängigen Kandidaten Carlos H. Reyes aufgefordert, sich zu ihrem Verhalten angesichts des näher rückenden Wahltermins zu äußern.

Auch die Widerstandsbewegung hat angekündigt, Wahlen unter der Kontrolle der Putschisten verhindern zu wollen. "Wenn es keine Rückkehr von Zelaya gibt, dann wird es auch keine Wahlen geben. Die linken Kandidaten werden sich zurückziehen, und wir werden einen massiven Boykott organisieren", kündigte Barahona an. Andere sprachen davon, die Wahlurnen "verbrennen" zu wollen. Die Putschisten versuchen unterdessen weiter, den Anschein von Normalität zu erwecken. Am Montag wurde der Ausnahmezustand aufgehoben, den die Putschisten Ende September verhängt hatten. In den vergangenen zwei Wochen hatten Polizei und Militär auch weiterhin Kundgebungen und Demonstrationen der Widerstandsbewegung brutal unterdrückt, die brasilianische Botschaft in Tegucigalpa blieb abgeriegelt.

Von der nun erfolgten Aufhebung des Ausnahmezustandes konnte als erstes Radio Globo profitieren. Der Privatsender hatte sich nach dem Putsch zu einem Widerstandssender verwandelt, der die Mitteilungen des Widerstandes und von Präsident Zelaya verbreitete. Dafür war er, ebenso wie der Fernsehsender Canal 36, am 28. September von Militärs besetzt und abgeschaltet worden. Am Montag ging Radio Globo gegen 11 Uhr Ortszeit mit der honduranischen Nationalhymne wieder auf Sendung, anschließend ergriffen der Eigentümer des Senders, Alejandro Villatoro, und der Journalist David Romero das Wort. "Ich habe geweint, ich habe Tränen vergossen", kommentierte Romero. Zugleich musste er jedoch einräumen, dass Radio Globo künftig "Selbstzensur" üben werde.

Honduras ist aber nach wie vor weit von Normalität entfernt. So erlag der Vorsitzende der Gewerkschaft des Instituts für Berufsausbildung (SITRAINFOP), Jairo Sánchez, am vergangenen Wochenende seinen schweren Verletzungen, die er am 23. September erlitten hatte, als Polizei und Militär mit Waffengewalt gegen einen friedlichen Demonstrationszug der Widerstandsbewegung vorgegangen waren. Sánchez, dem die Soldaten direkt ins Gesicht geschossen hatten, war mehrmals operiert worden, um sein Leben zu retten. Führende Vertreter der Widerstandsbewegung wie Juan Barahona und der Bauernführer Rafael Alegría erklärten, der Tod von Sánchez sei Ergebnis der Versuche des Regimes, den Kampf des Volkes für die Demokratie gewaltsam zu stoppen. Die Bewegung werde sich aber von den Verbrechen der Putschisten nicht aufhalten lassen.

Erschienen am 23. Oktober 2009 in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit