Mit zweierlei Maß

Die US-Administration hat am vergangenen Donnerstag Sanktionen gegen den Präsidenten des Obersten Wahlrats (CSE) von Nicaragua, Roberto Rivas, verhängt. In einer knappen Stellungnahme begründete das Finanzministerium in Washington die Maßnahme mit Rivas Verwicklung in Wahlbetrug und Korruption. Einen Tag später erkannte das State Department offiziell die Wiederwahl von Juan Orlando Hernández als Präsident von Honduras an und verwies die Bürger des zentralamerikanischen Landes, die das vom Obersten Wahlgericht verkündete Ergebnis nicht anerkennen, auf den »vom honduranischen Recht vorgesehenen Weg«.

Als einer der ersten reagierte darauf Boliviens Präsident Evo Morales. Über Twitter kritisierte der antiimperialistische Staatschef am Montag die »Doppelmoral«. Die Vereinigten Staaten bestraften Rivas »aufgrund des klaren demokratischen Sieges des Bruders Daniel Ortega bei den nationalen und Kommunalwahlen«, während »das Imperium über den Betrug in Honduras nichts sagt«.

Die staatlichen und regierungsnahen Medien in Nicaragua übergingen die US-Sanktionen gegen Rivas weitgehend mit Schweigen. Lediglich der Rundfunksender Radio La Primerísima erwähnte die Strafmaßnahmen kurz, allerdings im Zusammenhang mit einer Stellungnahme der Organisation Transparency International. Diese hatte kritisiert, dass der in den USA in Abschiebehaft sitzende frühere Präsident Panamas, Ricardo Martinelli, nicht auf der Sanktionsliste Washington steht.

Nicaraguas Staatschef Daniel Ortega hatte die Präsidentschaftswahlen im November 2016 mit 72,4 Prozent der Stimmen gewonnen. Einen weiteren Erfolg feierten seine Sandinisten bei den Kommunalwahlen am 5. November 2017, als sie sich in 135 der 153 Gemeinden des Landes durchsetzen konnten. Über diese Wahlen veröffentlichte die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in der vergangenen Woche den offiziellen Bericht ihrer Beobachterdelegation. Darin listet sie zwar zahlreiche Mängel und Beschwerden über den Verlauf der Abstimmung auf, stellt aber fest, dass diese »im Kern nicht die Willensäußerung des Volkes an den Urnen der großen Mehrheit der Bezirke des Landes beeinträchtigt haben«.

Dagegen fordert die OAS in Honduras eine Wiederholung der Präsidentschaftswahlen. Dort hatte der Oppositionskandidat Salvador Nasralla nach der Präsidentschaftswahl Ende November in ersten Hochrechnungen klar in Führung gelegen. Daraufhin wurde die Veröffentlichung neuer Zwischenergebnisse für mehrere Tage unterbrochen. Anschließend sahen die vom Obersten Wahlgericht (TSE) verbreiteten Zahlen plötzlich Amtsinhaber Hernández vorn. Letztlich wurde dieser vom TSE zum Sieger der Abstimmung erklärt. Die Opposition wirft den Richtern deshalb Fälschung vor und veröffentlichte Dokumente, die diese Manipulationen belegen sollen.

Nasralla, der für die »Oppositionsallianz gegen die Diktatur« kandidiert hatte, kündigte am Freitag abend (Ortszeit) seinen Rückzug aus dem Bündnis an, das er im Wahlkampf mit der Linkspartei Libre und der sozialdemokratischen Pinu eingegangen war. Statt dessen rief er zur Bildung einer »Nationalen Kraft« auf, die auch die Liberale Partei und die »guten Leute« aus der Nationalen Partei des Staatschefs umfassen soll. In einem Videostatement lud er zum Dialog ein, um die »Unregierbarkeit« des Landes nach dem Wahlbetrug zu überwinden. »Niemand ist einer Regierung zum Gehorsam verpflichtet, die das Amt usurpiert hat«, rief er zur Fortsetzung des Widerstandes auf. Mit Blick auf die Sanktionen gegen Nicaragua erklärte er am Dienstag über Facebook, das Gesetz müsse für alle gelten. »Hier in Honduras war der Betrug riesig, und wir erwarten von den Vereinigten Staaten, dass sie diesen ebenso bestraft wie sie denjenigen bestraft, der in Nicaragua betrogen hat«, so Nasralla.

Erschienen am 28. Dezember 2017 in der Tageszeitung junge Welt und in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek