Gespräch mit Alex Castro: »Das Glück lässt sich nicht blockieren«

[tds_info]Alex Castro ist Kameramann beim kubanischen Fernsehen, offizieller Fotograf des Ballet Español de Cuba und arbeitet als Bildreporter für Juventud Rebelde, Granma, Granma Internacional, Prensa Latina, Bohemia und andere. Er ist der Sohn von Fidel Castro Ruz und Dalia Soto del Valle.[/tds_info]

In Berlin ist derzeit Ihre Fotoausstellung »So sind wir Kubaner« zu sehen. Was ist das für eine Bilderschau?

Die Ausstellung zeigt die Kubaner in ihrer Welt, ihre Lebensweise, ihre Gefühle. Sie ist eine kleine Präsentation eines Ausschnitts aus meiner Arbeit.

Ihr häufigstes und bekanntestes Motiv war allerdings Ihr Vater Fidel Castro. Sie haben über viele Jahre die Besuche dokumentiert, die Fidel bei sich zu Hause empfing. Erscheint er auch in dieser Ausstellung?

Nein, ich habe keine Aufnahmen von meinem Vater für sie ausgewählt. Aber ich habe natürlich viele Fotos von ihm, die ich gerne in Deutschland zeigen kann, wenn es Interesse daran gibt.

Wie ist es, wenn man über lange Zeit so nahe mit einer wichtigen Kraft der Weltpolitik zusammenarbeitet wie Sie?

Ich habe Fotos über viele Themen gemacht, über Sport, die Stadt, Kultur, Mode. Aber in den letzten Jahren war ich tatsächlich mit der Dokumentation der Aktivitäten meines Vaters betraut. Nachdem er sich zurückgezogen hatte, wurde ich in gewisser Weise zu seinem persönlichen Fotografen. Ich habe diese Arbeit gerne getan, zusammen mit den anderen Fotografen meines Landes.

Ihre Fotos von diesen Aktivitäten wurden von den internationalen Nachrichtenagenturen weltweit verbreitet. Wie fühlt sich ein Fotograf, wenn überall seine Aufnahmen zu sehen sind, aber sein Name oft nicht erscheint?

Mein Name wurde in den Bildnachweisen schon genannt. Aber ich habe so gearbeitet wie andere Fotografen auch. Allerdings musste ich an mich und meine Arbeit noch höhere Ansprüche stellen, weil er von mir mehr erwartete.

Wie muss ich mir diese Situation vorstellen: Sie sind in ihrem privaten Zuhause und empfangen hochrangige Besucher wie Russlands Präsident Wladimir Putin, den Papst oder Argentiniens Fußballstar Diego Maradona. Was spielte sich hinter den Kameras ab?

In der Zeit, in der mein Vater zu Hause Besucher empfing, war das eine eher private, intime Atmosphäre. Es war nicht nötig, dass eine so große Zahl von Personen an den Gesprächen teilnahm, wie es früher bei offiziellen Terminen der Fall war. Es herrschte kein so großartiges Protokoll, es waren sehr viel nähere, privatere Begegnungen. Die Besucher selbst fühlten, dass dies kein offizielles Treffen war, sondern ein Besuch bei ihm daheim. Bei diesen Gelegenheiten habe ich einfach meine Arbeit als Fotograf gemacht. Obwohl das in dieser privaten, familiären Umgebung war, habe ich mich auf meine Arbeit konzentriert.

Blieb denn noch ein Freiraum für das Familienleben?

Ja, natürlich. Das mussten und konnten wir voneinander trennen. Wenn ein Besuch kam, war ich nicht der Gastgeber, sondern der Fotograf. Wenn der Besucher wieder gegangen war, war es das Haus der Familie. Und dann konnte alles mögliche passieren, manchmal haben wir uns über den Besuch unterhalten, manchmal haben wir über völlig andere Dinge gesprochen. Es war das, was man zu Hause in der Familie eben macht.

Sie haben sich ursprünglich nicht zum Berufsfotografen ausbilden lassen, sondern in Moskau Elek­trochemie studiert …

Ja, und ich habe in Kuba als Ingenieur in einer Fabrik für elektronische Komponenten gearbeitet. Aber mich hat das Fotografieren immer interessiert. Praktisch als Kind habe ich angefangen, Fotos zu machen, aber das war erst mal ein Spiel, ein Hobby. Auch in Moskau habe ich nebenbei Fotos gemacht, denn das Material dafür war günstig. 1998 hatte ich dann die Gelegenheit, als Kameramann beim Fernsehen anzufangen. Davon ausgehend, begann ich, als professioneller Fotograf zu arbeiten. Heute bin ich weniger für das Fernsehen tätig, sondern konzentriere mich mehr auf das Fotografieren.

Wie war Ihr Leben in Kuba als Jugendlicher oder junger Erwachsener? Der Sohn von Fidel ist ja nicht irgendein Kubaner …

Alle Kubaner haben sich angewöhnt zu sagen, dass Fidel ihr Vater ist. Von daher ist es nichts Besonderes, sein Sohn zu sein.

Aber hat es Ihnen geholfen, sein leiblicher Sohn zu sein, zum Beispiel um die Anstellung beim Fernsehen zu bekommen? Oder war die Verwandtschaft eher ein Problem für Sie?

Beim Fernsehen hatte ich es zunächst tatsächlich etwas schwerer, meine Arbeit wie jeder andere machen zu können. Aber angeboten worden war mir die Stelle, weil die Leute, die mich kannten, wussten, dass ich mich mit Fotografie beschäftige. Ich glaube aber nicht, dass ich irgendwelche größeren Vorteile hatte, weil ich mit einem wichtigen Funktionär verwandt bin. Wir gehörten nicht zu den Leuten, die aufgrund ihrer Herkunft ein leichtes Leben hatten. Mein Vater forderte von uns immer Respekt gegenüber allen Menschen, Disziplin und einen guten Umgang mit anderen. Ich bin kein Prinz, ich kann in Kuba nicht irgendwo hingehen und sagen, wer ich bin, und dann stehen mir alle Türen offen. Nein, so funktioniert Kuba nicht. Es gibt Leute, die so etwas versuchen, aber bei mir und meiner Familie war das nie der Fall. Das wird von den Menschen wahrgenommen. Wir werde von ihnen gut behandelt, weil sie gesehen haben, dass wir uns ganz natürlich verhalten.

Hat es Sie nie gereizt, ein politisches Amt zu übernehmen? Zum Beispiel eine Funktion in der Kommunistischen Partei zu bekleiden?

Nein, das hat mich nie interessiert. Wir Kubaner sind gebildet, und alle Kubaner kennen sich mit Politik aus. Wir können über jedes Thema reden, weil es in Kuba ein gutes Bildungswesen gibt. Aber nicht alle haben die Fähigkeiten und Möglichkeiten, die Politik zu führen. Ich gehöre zu den Leuten, die nicht in der Lage sind, politische Führungsaufgaben zu übernehmen. Ich spreche über Politik, ich studiere politische Themen, aber ich bin kein Politiker.

Wie haben Sie die große Diskussion über die neue Verfassung erlebt, die es im vergangenen Jahr in Kuba gegeben hat und die mit dem Referendum im Februar abgeschlossen wurde?

Wie alle Dinge hat auch das Referendum seine positiven und negativen Seiten, je nachdem, von welcher Warte aus man diese Sache betrachtet. Aber in Kuba gab es etwas, das es nirgendwo sonst gibt. Jeder hatte das Recht und die Gelegenheit, den Entwurf zu lesen, Änderungen vorzuschlagen, zu sagen, was ihm gefällt und was nicht. Im Verlauf der Diskussionen sind ja sehr viele Dinge geändert worden. Es war natürlich nicht möglich, den Text zu ändern, nur weil eine einzelne Person mit einer bestimmten Sache nicht zufrieden war. Aber alle Meinungen wurden gehört, und alle Welt hat sich an den Debatten beteiligt. Trotzdem ist es natürlich nicht möglich, dass in einem solchen Text alle mit allen Einzelheiten zufrieden sind. Aber das ist überall so.

Haben Sie an den Diskussionen über die Verfassung teilgenommen?

Ja, ich habe mich wie alle kubanischen Bürger an den Diskussionen beteiligt und mit meinen Kollegen debattiert.

Wie entwickelt sich Kuba nun mit der neuen Verfassung weiter? Es müssen ja zahlreiche Gesetze angepasst werden …

In Kuba gibt es keine großen Veränderungen. Die Änderungen, die es in der Verfassung gegeben hat, sind gegenüber der bisherigen gering, es gibt keinen großen Unterschied im alltäglichen Leben. Man läuft ja nicht den ganzen Tag mit Gesetzestexten vor der Nase herum. Das tägliche Leben verändert sich nicht, was sich ändert, sind Details.

Was sich allerdings ändert – und nicht zum Guten –, ist das Verhältnis zu den USA. Wie bewerten Sie die jüngste Verschärfung der Blockade gegen Kuba durch Washington?

Wir Kubaner sind daran gewöhnt, dass uns die Nordamerikaner blockieren. Drei Viertel der kubanischen Bevölkerung sind unter den Bedingungen der Blockade geboren worden. Sie war mal etwas leichter, jetzt ist sie härter, aber wir haben uns daran gewöhnt, mit wirtschaftlichen Problemen leben zu müssen. Was uns dabei hilft, ist das Wissen über die Ursachen. Die Kubaner wissen Bescheid und finden Möglichkeiten zum Überleben. Das Glück der Kubaner lässt sich nicht blockieren – so viele Schwierigkeiten wir auch haben mögen. Und sie können uns die Freiheit nicht nehmen. Wir haben keine Herren, und das ist etwas, was die nordamerikanische Regierung nicht verstehen will. Sie können uns noch so lange blockieren, wie sie wollen, und wir werden die wirtschaftlichen Folgen spüren, aber unser Glück treffen sie nicht.

Erschienen am 22. Juni 2019 in der Tageszeitung junge Welt