Mehrheit gegen Spanien

Drei Wochen vor den Parlamentswahlen in Katalonien zeichnet sich nach einer aktuellen Umfrage eine klare Mehrheit für die Parteien ab, die eine Unabhängigkeit der bislang zu Spanien gehörenden autonomen Region anstreben. Das sei ein »Bumerangeffekt« der von der spanischen Rechten geführten Kampagne, kommentierte das Onlinemagazin Público, in dessen Auftrag die Prognose erstellt wurde, am Donnerstag abend. Die rechte Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte am Dienstag ein Gesetz im Parlament eingebracht, durch das der katalanische Ministerpräsident Artur Mas und andere Politiker bestraft und abgesetzt werden können, wenn sie sich über Urteile des spanischen Verfassungsgerichts hinwegsetzen. Dessen Richter, von denen die meisten durch die PP nominiert wurden, hatten in der Vergangenheit alle Vorstöße Kataloniens zu größerer Eigenständigkeit abgeblockt.

Als Reaktion auf die Angriffe Madrids scharen sich offenbar viele Katalanen um das Lager ihres Regierungschefs. Dessen liberale CDC (Demokratische Konvergenz) hat für die Wahlen am 27. September eine Allianz mit der sozialdemokratisch orientierten Republikanischen Linken (ERC) gebildet. Diese verspricht, bei einem Wahlsieg innerhalb von 18 Monaten auch ohne eine Übereinkunft mit Madrid die Unabhängigkeit Kataloniens zu proklamieren. Eine noch schnellere Abspaltung strebt die linksradikale »Kandidatur der Volkseinheit« (CUP) an, die eine Eigenständigkeit des Landes als Voraussetzung für den Aufbau einer sozialistischen Republik ansieht und ihren Anteil im Parlament vervierfachen könnte. Zusammen können die beiden Listen mit 73 Sitzen im katalanischen Parlament rechnen, fünf mehr als die absolute Mehrheit. Zweitstärkste Kraft könnten die prospanischen »Ciutadans« werden, gefolgt von einem weiteren Linksbündnis. In »Catalunya Sí que es Pot« (etwa »Katalonien – Yes We Can«) haben sich Parteien zusammengeschlossen, die den radikalen Unabhängigkeitskurs nicht unterstützen.

Erschienen am 5. September 2015 in der Tageszeitung junge Welt