Mauerbrocken für Morales

Die linke Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel ist entsetzt. »Nun sind wir zwei Tage in La Paz gewesen, und ich konnte Niebels Feldzug gegen den Sozialismus miterleben«, schreibt sie auf ihrer Facebook-Seite im Internet. Hänsel gehört zu einer Gruppe von Parlamentariern, die Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel bei dessen derzeitiger Reise durch Lateinamerika begleiten.

Auch wenn Niebel diesmal auf seine Militärmütze verzichtet hat, mit der er sich Anfang des Jahres als Kolonialherr in Afrika fotografieren ließ, gibt er auch in Südamerika den Gutsherrn. Während Boliviens Präsident Evo Morales sich für eine weitere Entwicklung der Beziehungen mit Deutschland und vor allem für Kooperation beim Klimaschutz aussprach, stellte Niebel erst mal Forderungen auf. »Ich bin mir sicher, daß die deutschen Unternehmen ein großes Interesse an Investitionen hier in Bolivien haben, aber sie müssen sich sicher sein können, daß ihre Investitionen geschützt sind und es keine Enteignungen gibt«, wird Niebel von der staatlichen bolivianischen Nachrichtenagentur ABI zitiert. Die ihm »Sorge bereitenden« Verstaatlichungen gefährdeten »die zur Armutsreduktion notwendigen Direktinvestitionen«, behauptete der Gast. Schließlich überreichte der FDP-Politiker Morales dann noch ein Stück Berliner Mauer »als Zeichen des Endes von mehr als 40 Jahren sozialistischer Diktatur«.

Vor dem Gespräch mit Evo Morales hatten sich Niebel und seine Begleiter bereits mit den in Bolivien arbeitenden Vertretern der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und ihres CSU-nahen Pendants Hanns-Seidel-Stiftung getroffen. Von Oppositionsvertretern ließ sich Niebel dann die üblichen Geschichten von fehlender Demokratie und autoritärem Führungsstil erzählen. »Hier wird auf allen Ebenen versucht, die Souveränität Boliviens zu unterlaufen«, bilanziert Hänsel deshalb in ihrem Internetkommentar.

Nach dem Aufenthalt in Bolivien sollte die Delegation am Dienstag (Ortszeit) nach Peru weiterreisen, bevor dann am Donnerstag Kolumbien als letzte Station der Tour auf dem Programm steht. Treffen mit Oppositionellen sind dort nicht geplant. Das Entwicklungsministerium habe ihr erklärt, in Peru gäbe es »keine Opposition« und in Kolumbien habe man »nicht daran gedacht«, so Hänsel.

Erschienen am 3. November 2010 in der Tageszeitung junge Welt