Massaker in Mexiko

Die seit Wochen anhaltenden Proteste von Lehrern und Studenten in Mexiko eskalieren. Am Sonntag wurden mindestens neun Menschen getötet und 94 weitere verletzt, als sich in Nochixtlán Streikende und Polizisten stundenlange Straßenschlachten lieferten. Der Gouverneur des südmexikanischen Bundesstaates Oaxaca, Gabino Cué, bestätigte sechs Todesopfer.

Rund 500 Mitglieder der Lehrergewerkschaft CNTE hatten am Samstag die Staatsstraße durch Oaxaca blockiert, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Sie protestieren gegen eine von der Regierung geplante »Bildungsreform«, die nach offizieller Darstellung »Privilegien« der Lehrer beschneiden und den Unterricht verbessern soll. Die Gewerkschaften sehen in dem Vorhaben dagegen den Versuch, das Bildungswesen in Mexiko weiter zu privatisieren, und befürchten eine Schließung der Dorfschulen, die der Landbevölkerung bislang zumindest ein Mindestmaß an Unterricht anbieten. Sie lehnen auch ab, dass sich die Pädagogen künftig einer Leistungskontrolle stellen müssen. Der Regierung gehe es mit dieser nicht darum, »faule Lehrer« auszusortieren, sondern um eine Disziplinierung der Beschäftigten. Bereits jetzt seien Tausende ungerechtfertigt entlassen worden, kritisierte die CNTE, der landesweit 200.000 Lehrer angehören, davon allein 80.000 in Oaxaca. Seit Jahren kämpft diese Gewerkschaft für eine höhere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen für die Pädagogen.

Als Reaktion auf die Straßenblockaden versuchten einem Bericht des Fernsehsenders Telesur zufolge am Sonntag etwa 800 Angehörige der Bundespolizei, die Barrikaden zu räumen. Die Beamten waren nach Augenzeugenberichten mit Gewehren ausgerüstet und schossen scharf auf die Streikenden. Diese wehrten sich mit Steinen und selbstgebauten Brandsätzen.

Die mexikanischen Behörden stritten zunächst ab, dass die Polizisten mit Feuerwaffen ausgerüstet gewesen seien. Sie hätten nur Helme, Schilde und Knüppel getragen, behauptete Gouverneur Cué. Nachdem im Internet Fotos und Videos veröffentlicht worden waren, die schießende Polizisten und ihre Opfer zeigten, korrigierten die staatlichen Stellen ihre Version. Nun hieß es, die Bundespolizei sei erst ganz zum Schluss angerückt und mit Gewehren bewaffnet gewesen, »als alles schon vorbei war«. Auch dieser Darstellung widersprechen die Zeugen. Von Anfang an sei scharf auf die Streikposten gefeuert worden. Fotos zeigen, wie Festgenommene mit offenen Lastwagen abtransportiert werden. Bewacht von maskierten, bewaffneten Polizisten liegen sie am Boden des Fahrzeugs auf dem Bauch, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.

Mexikanische Medien verbreiteten die Namen von acht der Todesopfer, ein neunter Mann sei noch nicht identifiziert worden. Der jüngste von ihnen war 19 Jahre alt und gehörte offenbar zu den Schülern und Studenten, die den Protest ihrer Lehrer unterstützen. Die Jugendlichen spüren die Folgen der Regierungspolitik direkt. So berichtet Daniel Castro, der dem Kommunistischen Jugendverband FJC in Oaxaca angehört, dass allein in diesem Bundesstaat bereits mehr private Universitäten und Oberschulen existieren als öffentliche. In der Hauptstadt Oaxaca de Juárez, in der die meisten Schüler und Studenten leben, kommen nur noch drei öffentliche Schulen auf 27 Privatinstitute. Die Folge sind ständig sinkende Schülerzahlen im öffentlichen Bildungswesen – und diese Entwicklung dient dem Staat als Rechtfertigung für die Entlassung von Lehrern.

Erschienen am 21. Juni 2016 in der Tageszeitung junge Welt