Luftbrücke in die Karibik

Die Regierung von Haiti hat am Mittwoch (Ortszeit) wegen der durch den Wirbelsturm »Sandy« angerichteten Schäden landesweit den Notstand ausgerufen. Offiziellen Zahlen zufolge hatte der Hurrikan, der die bitterarme Karibikrepublik in der vergangenen Woche überquert hatte, dort 54 Todesopfer gefordert. 21 Menschen wurden am Donnerstag noch vermißt. Staatschef Michel Martelly erklärte nun, sein Land erhole sich zwar »nach und nach« von den Schäden, allerdings müßten besondere Maßnahmen ergriffen werden, um der betroffenen Bevölkerung schnell und effizient helfen zu können.

Der Wirbelsturm hatte auch Jamaika, Kuba und die Bahamas heimgesucht, doch Haiti wurde am schwersten getroffen, da das Land noch immer unter den Folgen des schweren Erdbebens vom Januar 2010 leidet. So wurde durch »Sandy« auch ein Flüchtlingslager zerstört, in dem noch immer 370000 Menschen unter erbärmlichen Bedingungen ausharren mußten. Mindestens 18000 Familien haben nun auch diese letzte Unterkunft verloren.

Die meisten Menschen sollen nach Angaben der Regierung jedoch zu Tode gekommen sein, als sie versuchten, die durch die starken Regenfälle angeschwollenen Flüsse zu überqueren. Befürchtet wird zudem ein erneuter Ausbruch der Choleraepidemie, die nach dem Erdbeben mehr als 600000 Menschen getroffen hatte. Wie der lateinamerikanische Fernsehsender TeleSur berichtete, wurden in den letzten Tagen wieder 200 Menschen unter dem Verdacht einer Choleraerkrankung in die Krankenhäuser eingeliefert, 20 Menschen seien bereits gestorben.

Als eines der ersten Länder hat Venezuela auf den Ruf der haitianischen Regierung nach internationaler Hilfe reagiert. Innenminister Néstor Reverol erklärte, Präsident Hugo Chávez habe eine Sonderkommission des Kabinetts gebildet, die sich um die Hilfe für Haiti und Kuba kümmern soll. Eine DC-10 der venezolanischen Streitkräfte startete am Mittwoch auf dem Internationalen Flughafen »Simón Bolívar« in Maiquetia (Caracas). 553 Tonnen unverderblicher Hilfsgüter seien bereits in die Karibik transportiert worden, berichtete TeleSur. Noch am Donnerstag sollten zudem 93 Tonnen nicht verderbliche Lebensmittel abgeschickt werden.

Kubas Botschafter in Caracas, Rogelio Polanco, zeigte sich dankbar für die solidarische Unterstützung. Die von »Sandy« auf der Insel angerichteten Schäden bezifferte er auf 150000 ganz oder teilweise zerstörte Häuser, Straßen und öffentliche Einrichtungen. Brigaden aus allen Provinzen des Landes sind nach Santiago de Cuba geeilt, um der vom Sturm am schwersten getroffenen Stadt bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Wie das Internetportal Cubadebate am Donnerstag berichtete, konzentrieren sich die Arbeiten vor allem auf die Wiederherstellung der Strom- und Telefonverbindungen. »Es war hart, doch Santiago ist Santiago. Es hat Stürmen und Kriegen jeder Art getrotzt, es wird auch dies siegreich überstehen«, sprach Präsident Raúl Castro den Einwohnern Mut zu.

Auch Bolivien zeigte sich mit Kuba solidarisch. Wie die Nachrichtenagentur Prensa Latina berichtete, hat der Andenstaat die Entsendung von 120 Tonnen Lebensmitteln und Trinkwasser angekündigt. Verteidigungsminister Rubén Saavedra erinnerte in diesem Zusammenhang daran, daß sich Kuba in der Vergangenheit immer sehr solidarisch mit Bolivien gezeigt habe, so bei der Alphabetisierungskampagne, der Gesundheitsversorgung sowie der medizinischen Ausbildung junger Bolivianer.

In der Karibik hat der Wirbelsturm aktuellen Berichten zufolge neben den 54 Toten in Haiti 17 weitere Menschenleben gefordert: eines in Puerto Rico, zwei auf den Bahamas, elf in Kuba, zwei in der Dominikanischen Republik und eines in Jamaika. Die US-Behörden, wo der Sturm in den vergangenen Tagen wütete, beziffern die Zahl der dort Getöteten inzwischen auf 72.

Erschienen am 2. November 2012 in der Tageszeitung junge Welt