Lügen haben kurze Beine

Nach tagelanger Panikmache hat Venezuelas Opposition eingeräumt, dass es mit den kursierenden Gerüchten um eine Erkrankung oder gar den Tod des inhaftierten Politikers Leopoldo López nichts auf sich hat. Seine Ehefrau Lilian Tintori erklärte in der Nacht zum Montag in einem über Twitter verbreiteten Video nach einem Besuch bei ihrem Gatten, dass es ihm gutgehe. Sie beklagte sich, dass sie schwere Tage hinter sich habe, die voller »ungerechter Gerüchte« gewesen seien. Zu diesen hatte sie allerdings maßgeblich selbst beigetragen.

Am vergangenen Mittwoch hatte der Journalist Leopoldo Castillo, der von Miami aus mit einer Fernsehsendung gegen Venezuelas Regierung hetzt, über Twitter verbreitet, dass López »ohne Lebenszeichen« aus dem Gefängnis Ramo Verde in das Militärkrankenhaus von Caracas gebracht worden sei. 90 Minuten später »bestätigte« der republikanische US-Senator Marco Rubio, der Inhaftierte befinde sich »in sehr ernstem Zustand«. Zeitgleich verlangte Tintori vor dem Militärkrankenhaus, zu ihrem Mann gelassen zu werden – und gab sich auch nicht mit der Information zufrieden, dass er sich nicht dort befinde.

Noch am Mittwoch abend strahlte der staatliche Fernsehsender VTV ein Video aus, in dem López bei offenkundig bester Gesundheit zu sehen war. »Heute ist der 3. Mai, 21 Uhr. Ich verstehe den Grund nicht, warum man jetzt von mir ein Lebenszeichen haben will«, erklärte der muskulöse und im Unterhemd posierende López darin. »Mir geht es gut.« Umgehend zeigte sich Tintori überzeugt, dass das Video eine Fälschung sei, was von Medien weltweit weiterverbreitet wurde.

In Venezuela fragen sich vor allem Regierungsanhänger nun, was mit dieser schnell zu widerlegenden Falschmeldung bezweckt werden sollte. Die Vereinte Sozialistische Partei (PSUV) veröffentlichte auf ihrer Homepage Indizien, die ihrer Meinung nach dafür sprechen, dass López vergiftet werden sollte, um die Verantwortung dafür der Regierung in die Schuhe zu schieben. So seien am Mittwoch Anwälte ­Castillos am Gefängnis erschienen, um López Süßigkeiten zu überbringen, die ihm seine Familie geschickt habe. Kurz darauf hätten Castillo und Rubio ihre Nachrichten verbreitet. »Aber sie übersahen ein Detail«, so die PSUV. »Die Anwälte konnten die Süßigkeiten nicht übergeben. Denken wir das Schlimmste: Leopoldo López lebt noch, weil er diese Süßigkeiten nicht gegessen hat.«

Erschienen am 9. Mai 2017 in der Tageszeitung junge Welt und in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek