»Lokale Ursachen«

Ruth Alicia López stammte aus Chocó und engagierte sich im »Kongress der Völker«. Dieser Zusammenschluss war 2010 bei einer Konferenz in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá gegründet worden, um eine gemeinsame Organisation von Bauern, Indígenas, Frauen, Schwarzen, Studierenden und anderen Gruppen zu bilden, die sich bis dahin in unzähligen einzelnen Vereinigungen für ihre jeweiligen Interessen eingesetzt hatten. Eine herausragende Rolle spielte der Kongress im vergangenen Jahr bei Landarbeiterstreiks, die Kolumbien über Wochen in Atem hielten. Vor rund zwei Wochen kam López nach Medellín, um sich an den Vorbereitungen für den diesjährigen »Agrargipfel« ihrer Bewegung zu beteiligen.

Am Donnerstag wurde die 32jährige ermordet. Medienberichten zufolge ereignete sich das Verbrechen am frühen Morgen in einem Geschäft im südwestlich gelegenen Stadtviertel Olaya Herrera. Zwei Männer schossen mehrfach auf die junge Frau und flüchteten anschließend auf einem Motorrad. Ruth Alicia López ist bereits die 27. Aktivistin, die allein in diesem Jahr in Kolumbien ermordet wurde, teilte die linke Bewegung Marcha Patriótica mit. Seit Anfang 2016 starben bereits deutlich über 100 Mitglieder linker und Menschenrechtsgruppen.

Die Regierung von Staatschef und Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos ignoriert die Gewaltwelle und macht kriminelle Banden aus dem Drogenmilieu für die Taten verantwortlich. Verteidigungsminister Luis Carlos Villegas sprach gegenüber der Nachrichtenagentur Colprensa von »lokalen Ursachen« für die Morde, etwa Motorraddiebstahl, Auseinandersetzungen in der Familie oder Streitigkeiten um Grundstücksgrenzen. Linke Organisationen vermuten dagegen paramilitärische Gruppen der äußersten Rechten hinter den Verbrechen. Sie gehen davon aus, dass die Mordserie gezielt den Friedensprozess zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla torpedieren soll. Die Tageszeitung El Colombiano warnte bereits Anfang Februar vor einer Wiederholung des Dramas von Ende der 80er Jahre, als Tausende Mitglieder der nach einem letztlich gescheiterten Friedensschluss zwischen den Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und der Regierung gegründeten legalen Linkspartei Unión Patriótica ermordet wurden. »Im Friedensvertrag wurden Sicherheitsgarantien für die Führungspersönlichkeiten sozialer Bewegungen und Organisationen sowie für Verteidiger der Menschenrechte festgelegt. Doch es ist offensichtlich, dass die Zahl der Ermordeten gestiegen ist, seit die FARC den bewaffneten Kampf eingestellt und sich in Übergangslager begeben haben,« heißt es in einer am Donnerstag verbreiteten Erklärung der Marcha Patriótica.

Obwohl sie die Regierung dafür kritisiert, dass diese ihren Teil der im Friedensvertrag übernommenen Verpflichtungen nur schleppend erfüllt, haben die FARC am Mittwoch mit der Abgabe ihrer Waffen an Repräsentanten der Vereinten Nationen begonnen. In einem Kommuniqué warnt das Nationale Sekretariat der kommunistischen Organisation allerdings, dass vor dem Hintergrund der »traurigen Ausrottung oppositioneller politischer Alternativen« die physische Sicherheit der Guerilleros gewährleistet werden muss, »die derzeit den Konstituierungskongress der Partei vorbereiten, mit der sie in der Legalität agieren werden«. Die Gründung der neuen Organisation soll voraussichtlich im Mai in Bogotá stattfinden. Den Weg dazu hat das kolumbianische Repräsentantenhaus am Mittwoch freigemacht. Mit 86 gegen 17 Stimmen verabschiedete das Unterhaus des Kongresses Sonderregelungen für die neue Partei, wie sie im Friedensvertrag vereinbart wurden. Demnach hat die Nachfolgeorganisation der FARC für zwei Legislaturperioden Anspruch auf jeweils fünf Sitze im Repräsentantenhaus und im Senat. Zudem gibt es Übergangsregelungen zur Finanzierung der neuen Partei. Damit soll gewährleistet werden, dass sie so schnell wie möglich gleichberechtigt an der politischen Debatte teilnehmen kann. Die Regelung muss noch vom Senat gebilligt werden.

Erschienen am 4. März 2017 in der Tageszeitung junge Welt