junge Welt, 21. August 2013

Lizenz zum Schreddern

junge Welt, 21. August 2013Anrufe aus höchsten Regierungskreisen beim Chefredakteur mit der Forderung, gesammeltes Material herauszugeben oder die Berichterstattung einzustellen. Geheimdienstmitarbeiter, die Festplatten von Redaktionscomputern zerstören. Was der Chefredakteur des britischen Guardian, Alan Rusbridger, in einer Kolumne für die Dienstagausgabe seines Blattes in entspanntem Tonfall berichtete, erinnert an die Pressezensur in Diktaturstaaten. Doch der Journalist bezog sich auf Vorfälle in seinem Haus in den vergangenen zwei Monaten. Seit der Guardian an der Veröffentlichung der Enthüllungen des NSA-Aussteigers Edward Snowden beteiligt ist, wird von den britischen Behörden offenbar massiver Druck auf die Redaktion ausgeübt. »Ihr hattet euren Spaß, jetzt wollen wir unser Zeug zurück«, habe ihm ein Anrufer »aus dem Zentrum der Regierung« gesagt, schreibt Rusbridger. Auf seine Antwort, man brauche das Material, um weiter zum Thema recherchieren zu können, habe es geheißen: »Ihr hattet eure Diskussion. Es gibt keine Notwendigkeit, noch mehr zu schreiben.«

 

Anlaß für die Kolumne Rusbridgers war der Übergriff der britischen Behörden auf David Miranda. Der 28jährige Brasilianer, Lebensgefährte und Mitarbeiter des Guardian-Korrespondenten Glenn Greenwald, war am Sonntag am Londoner Flughafen Heathrow neun Stunden lang festgehalten und verhört worden. Unter Berufung auf britische Antiterrorgesetze wurden ihm Laptop, Handy und Speicherkarten abgenommen. Greenwald war durch die Veröffentlichung von Berichten über die flächendeckende Überwachung der Internet- und Telefonkommunikation durch den US-Geheimdienst NSA und die britische GCHQ international bekannt geworden. Gestützt hatte er sich bei seinen Recherchen auf Dokumente, die ihm Snowden übergeben hatte. Die brasilianische Regierung hat als Reaktion auf den Vorfall den britischen Botschafter in Brasilia einbestellt. Zudem beschwerte sich Außenminister Antonio Patriota telefonisch bei seinem britischen Amtskollegen William Hague.

Auch die Opposition im britischen Unterhaus verlangt jetzt Aufklärung. Yvette Cooper von der Labour-Partei verlangte zu wissen, ob Premierminister David Cameron oder Innenministerin Theresa May informiert gewesen seien. Sinn des Antiterrorgesetzes sei es, »herauszufinden, ob jemand in terroristische Aktivitäten verwickelt ist«. Es gebe »ernsthafte Zweifel daran, daß die neunstündige Festnahme Mirandas unter diesem Aspekt gerechtfertigt werden« könne.

Die Betroffenen haben angekündigt, sich durch die Übergriffe nicht einschüchtern zu lassen. »Sie können jeden Tag Dokumente beschlagnahmen, und wir werden immer von allem viele Kopien haben«, erklärte Greenwald in Rio de Janeiro. Rusbridger bewertete die Geheimdienstaktion als »sinnlose Symbolik, die nichts vom digitalen Zeitalter verstanden hat«. Aber zumindest Journalisten wüßten jetzt, daß sie einen großen Bogen um den Transitbereich des Londoner Flughafens machen sollten.

Es sei nicht hinnehmbar, daß britische Behörden weitere mögliche Enthüllungen offenbar mit Methoden verhindern wollten, wie sie nur aus Spionagethrillern bekannt seien, kritisierte der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Michael Konken. Die Schikanen gegen den Guardian seien mit der Pressefreiheit nicht vereinbar.

Erschienen am 21. August 2013 in der Tageszeitung junge Welt