Linksruck?

Besorgte Mienen beim Börsenreporter der »Tagesschau« am Dienstag morgen: Die Aktienkurse haben als Reaktion auf den »Linksruck« in Spanien nachgegeben. »Von so etwas hält man hier nichts«, wird gejammert. Viele Spanier jubeln dagegen: Sowohl die rechte Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy als auch die sozialdemokratische PSOE-Opposition wurden abgestraft. Sieger sind nahezu durchweg neue Bündnislisten oder andere Kräfte, die bislang nur unter »ferner liefen« rangiert hatten.

Doch die Kommentare, die das Resultat der Regional- und Kommunalwahlen in Spanien als Linksschwenk und Erfolg für die neue Protestpartei Podemos interpretieren, greifen zu kurz. Das Ergebnis spiegelt in erster Linie die wachsende Ablehnung des nach dem Ende des Franco-Faschismus in Spanien entstandenen Parteiensystems wider. Dabei artikuliert sich der Protest nicht nur links vom bisherigen Spektrum, sondern auch über neue rechtspopulistische Kräfte.

Durch das geltende Wahlrecht war bislang quasi garantiert worden, dass sich die beiden großen Parteien beim Regieren Spaniens und der autonomen Regionen abwechseln. Dieses politische Paradigma ist am Sonntag erschüttert worden. Zwar wurden in fast allen der 13 Regionen, in denen gewählt wurde, entweder die PP oder die PSOE stärkste Kraft, doch absolute Mehrheiten erreichten sie nirgendwo. Zu den Verlierern gehörten auch etablierte Regionalparteien wie die katalanische CiU und – dort, wo sie alleine antrat – die Vereinigte Linke (IU). Dagegen konnten Linke dann feiern, wenn sie zusammen mit anderen Kräften unter neuen Namen angetreten waren, etwa in Barcelona und Madrid, wo sie künftig die Bürgermeisterinnen stellen dürften.
Genossenschaft

Die vor einigen Monaten noch als möglich erschienene Übernahme der nationalen Regierungsgewalt durch Podemos ist dagegen illusorisch geworden. In keiner Region wurde die Partei von Pablo Iglesias stärkste Kraft. Der bäckt inzwischen kleinere Brötchen: Es komme nun darauf an, zusammen mit den Sozialdemokraten die PP aus den Regierungsämtern zu verdrängen. Das aber ist etwas völlig anderes als der von seinen Anhängern erhoffte radikale Bruch mit dem etablierten System. Podemos scheint, ähnlich wie Syriza in Griechenland, von den Realitäten eingeholt worden zu sein – allerdings schon Monate vor den Parlamentswahlen.

Hinzu kommt: Nicht nur linke Bündnisse feierten Erfolge. Ein Teil der früheren PP-Wählerstimmen ging diesmal auch an die konservativen »Bürger« (Ciudadanos), die sich nun in mehreren Regionen als Mehrheitsbeschaffer der PP anbieten können. Es ist nicht auszuschließen, dass sich dieses Szenario nach den im Herbst anstehenden Parlamentswahlen wiederholt – dann könnte Rajoy trotz der Verluste seiner Partei im Amt bleiben. Das Wunschergebnis für Berlin und Brüssel.

Erschienen am 27. Mai 2015 in der Tageszeitung junge Welt