junge Welt, 12. Juli 2011

Libyen-Front bröckelt

junge Welt, 12. Juli 2011Am heutigen Dienstag entscheidet die französische Nationalversammlung in Paris über eine Fortsetzung der französischen Beteiligung am Krieg gegen Libyen. Eine Überraschung ist dabei nicht zu erwarten, denn sowohl die UMP von Staatschef Nicolas Sarkozy als auch die oppositionellen Sozialisten unterstützen weiterhin die Bombenangriffe auf das nordafrikanische Land. Einem Bericht der französischen Wochenzeitung Le Canard Enchaine zufolge soll Sarkozy in der vergangenen Woche sogar von seinen Generälen gefordert haben, Ghaddafi müsse bis zum französischen Nationalfeiertag am 14. Juli gestürzt werden.

Doch hinter den Kulissen brodelt es. Während die Rebellen tapfer Fortschritte melden, kommt die Nachrichtenagentur Reuters zu dem Schluß, trotz der seit mehr als drei Monaten anhaltenden NATO-Luftangriffe hätten die Rebellen »noch keinen Durchbruch« bei ihrem Kampf zum Sturz Ghaddafis erzielt.

Vor diesem Hintergrund werden innerhalb der NATO zunehmend Risse deutlich, zumal der Krieg statt des erhofften schnellen Sieges zunehmend finanzielle und politische Belastungen mit sich bringt. Nicht nur Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi präsentiert sich plötzlich als Kriegsgegner und nennt die Intervention einen »Fehler«. Auch Frankreichs Verteidigungsminister Gerard Longuet forderte am Sonntag die Aufständischen auf, mit der libyschen Regierung zu verhandeln und nicht auf einen Sturz von Staatschef Muammar Al-Ghaddafi zu warten.

Paris selbst verhandelt nach Auskunft von Ghaddafis Sohn Saif Al-Islam bereits mit dem Regime in Tripolis. Entgegen einem Dementi der französischen Regierung sagte er der algerischen Zeitung El-Khabar, ein Gesandter der libyschen Regierung habe direkt mit Sarkozy gesprochen. Dabei habe der Staatschef eingeräumt, daß Frankreich den »Nationalen Übergangsrat« der libyschen Rebellen gebildet habe: »Ohne unsere Unterstützung, unser Geld und unsere Waffen hätte er niemals existieren können.« Angesprochen auf Äußerungen seines Vaters bei einer Kundgebung am Freitag, bei der dieser die Entsendung von Selbstmordattentätern nach Europa angekündigt haben soll, erklärte Al-Islam, es sei das Recht seines Landes, »die Staaten anzugreifen, die uns angreifen«. Die NATO habe den Krieg begonnen, »und nun müsse sie die Konsequenzen tragen«, so Al-Islam.

Der päpstliche Nuntius in Libyen, Giovanni Innocenzo Martinelli, forderte erneut eine sofortige Waffenruhe. Auch Papst Benedikt XVI. habe bereits dreimal von der NATO gefordert, die Bombenangriffe einzustellen, sagte der Vertreter des Vatikans in einem am vergangenen Freitag ausgestrahlten Interview des lateinamerikanischen Fernsehsenders TeleSur. Darin bestritt er auch, daß das libysche Regime gegen die eigene Bevölkerung vorgegangen sei: »Die NATO intervenierte, weil sie gesagt hat, daß es Massaker an Zivilisten gegeben habe, aber ich glaube nicht an diese Hypothese.« Zwar habe es »einige Konflikte« gegeben, »aber Massaker an Zivilisten sind nicht begangen worden«. Im Gegensatz dazu habe die »aggressive« NATO-Intervention zu Verlusten unter der Zivilbevölkerung geführt. Angaben der libyschen Regierung zufolge sind seit Beginn der NATO-Luftangriffe über 800 Menschen ums Leben gekommen, 4700 weitere wurden verletzt.

Erschienen am 12. Juli 2011 in der Tageszeitung junge Welt