»Lenín Presidente«

In knapp einem Monat entscheidet Ecuador über den Nachfolger des linken Staatschefs Rafael Correa, der das südamerikanische Land zehn Jahre regiert hat und nicht erneut kandidieren kann. Zwar hatte das Parlament im Dezember 2015 eine Verfassungsreform beschlossen und damit die bisherige Amtszeitbeschränkung aufgehoben – doch die Änderung tritt erst im kommenden Mai in Kraft und gilt damit weder für Correa noch für die 2013 gewählten Abgeordneten, deren Sitze ebenfalls am 19. Februar neu vergeben werden.

Nachfolger Correas soll Lenín Moreno werden. Der 63jährige, der seit einem Raubüberfall 1998 auf den Rollstuhl angewiesen ist, war von 2007 bis 2013 Vizepräsident und machte sich in dieser Zeit einen Namen als Verfechter der Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in das öffentliche Leben. Er gründete die »Solidaritätsmission Manuela Espejo«, in deren Rahmen Spezialisten in alle Landesteile entsandt wurden, um zu erfassen, wie viele Menschen mit Behinderungen es in Ecuador überhaupt gibt und welche Bedürfnisse sie haben. Tausende erhielten in der Folge zum ersten Mal medizinische Betreuung und wirtschaftliche Unterstützung. 2012 schlugen ihn deshalb zahlreiche Basisgruppen für den Friedensnobelpreis vor – doch das Komitee in Oslo entschied sich damals für die Europäische Union. Im Dezember 2013 ernannte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Moreno zum Sondergesandten für Behinderung und Barrierefreiheit.

In ihrem Wahlprogramm versprechen Moreno und seine Alianza PAIS, die unter Correa initiierte »Bürgerrevolution« fortzusetzen und auszuweiten: »Obwohl mehr als zwei Millionen Ecuadorianer in diesen Jahren der Bürgerrevolution aus der Armut entkommen sind, fordert diese Bevölkerung nun weitere Leistungen, und dieses Verlangen ist gerechtfertigt. Wir werden bei der Garantie der Rechte aller weiter voranschreiten.« Dazu sollen gleich zwölf »Revolutionen« dienen, mit denen der »Socialismo del Buen Vivir«, der »Sozialismus des Guten Lebens«, aufgebaut werden soll. Die Politik müsse der Bevölkerung dienen und nicht – wie früher – »der Oligarchie, den Eliten und dem Imperialismus«.

Der Ausgang der Abstimmung wird weit über die Grenzen Ecuadors hinaus beobachtet, denn für die Linke in Lateinamerika wäre es nach einer Reihe von Niederlagen wichtig, wieder einmal einen Erfolg feiern zu können. »Auf dem Spiel steht die These vom ›Ende eines Zyklus‹«, kommentierte Alfredo Serrano Mancilla vom Lateinamerikanische Strategiezentrum für Geopolitik (CELAG). »Wenn die Bürgerrevolution gewinnt, gibt es keinen aus Wahlen stammenden empirischen Beweis, der belegen könnte, dass die Veränderungsprozesse an ihr Ende gekommen sind. Aber wenn sie verliert, wäre es schwierig, etwas anderes zu behaupten.«

Lenín Moreno liegt in allen Umfragen vorn, allerdings dürfte es diesmal nicht für einen Sieg in der ersten Runde reichen. Dafür wären 40 Prozent der Stimmen nötig, wenn der Abstand zum Zweitplazierten mindestens zehn Prozentpunkte beträgt – oder aber 50 Prozent, dann würde die Höhe des Vorsprungs keine Rolle spielen. Einer Studie zufolge, die das Institut Market am Sonnabend veröffentlichte, kann Moreno mit etwa 28 Prozent der Stimmen rechnen – und hätte damit in den vergangenen Wochen deutlich an Boden verloren. Seine schärfsten Widersacher sind demnach die Kandidatin der Sozial-Christlichen Partei, Cinthya Viteri, mit knapp 18 Prozent sowie der rechtslastige Banker Guillermo Lasso, der auf 16,5 Prozent hoffen kann.

Für den vierten Platz gehandelt wird mit rund 14 Prozent Paco Moncayo. Der 76jährige Exmilitär, früherer Bürgermeister der Hauptstadt Quito und bekennender Verehrer von Mao Zedong, geht für die sozialdemokratisch orientierte Demokratische Linke (ID) ins Rennen und wird unter anderem von der Indigenenbewegung Pachakutik und der maoistischen PCMLE unterstützt. Sollte er tatsächlich ein zweistelliges Ergebnis erreichen, wäre das für die linke Opposi­tion Ecuadors ein Erfolg. 2013 war ihr Kandidat Alberto Acosta mit nur drei Prozent weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

Erschienen am 24. Januar 2017 in der Tageszeitung junge Welt und in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek