Lautes Schweigen in Berlin

Nach der Verschärfung der von den USA gegen Venezuela verhängten Sanktionen duckt sich die Bundesregierung weg. Man lehnt es ab, die Strafmaßnahmen zu verurteilen, und von deren dramatischen Folgen für die Bevölkerung des südamerikanischen Landes will man lieber nichts wissen. Das ist der Kern der Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine kleine Anfrage, die mehrere Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag Anfang Juli eingereicht hatten. »Für die Bundesregierung besteht kein Anlass, eine Einzelfallanalyse der (…) gegen Venezuela verhängten Wirtschaftssanktionen vorzunehmen«, lautet der zentrale Satz in der Antwort auf die erste der insgesamt zwei Dutzend Fragen. Kritik gibt es nur an »extraterritorial anknüpfenden Sekundärsanktionen«, also Strafmaßnahmen der USA gegenüber Drittländern, die sich dem Diktat Washingtons nicht beugen. Ansonsten hält die Bundesregierung die Auswirkungen der Sanktionen für »begrenzt« – und »befürwortet zusätzliche restriktive Maßnahmen gegen hochrangige Funktionäre der venezolanischen Regierung und des Sicherheitsapparats«.

Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko ist über diese Haltung empört. »Durch ihr aktives Wegschauen macht sich Bundesregierung mitschuldig an der Verschlechterung der Lage in Venezuela und dem Ausbleiben einer politischen Lösung«, sagte er am Montag gegenüber junge Welt. »Offenbar ist auch sie bereit, das Leid von Millionen und den Tod von Tausenden Menschen in Kauf zu nehmen, um die Regierung Maduro zu stürzen.«

Die Linken-Parlamentarier hatten die Bundesregierung auch gefragt, ob dem Kabinett die Studie der US-Ökonomen Mark Weisbrot und Jeffrey Sachs bekannt ist. Sie war im April vom Thinktank »Center for Economic and Policy Research« (CEPR) veröffentlicht worden. Der Untersuchung zufolge haben die US-Sanktionen allein in den Jahren 2017 und 2018 mindestens 40.000 Menschenleben gekostet. Diese Studie sei bekannt, wird mitgeteilt, aber: »Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, Studienergebnisse zu kommentieren.«

»Seit Monaten hält sich die Bundesregierung Augen und Ohren zu, wenn es um die US-Sanktionen gegen Venezuela geht«, so Hunko. »Es ist offensichtlich, dass sie gravierende Auswirkungen auf die Lebenssituation der Bevölkerung haben. Sogar humanitäre Hilfsorganisationen beklagen inzwischen, von den Sanktionen betroffen zu sein. Doch die Bundesregierung tut, als wüsste sie von alldem nichts. Dieses laute Schweigen ist unerträglich.«

Das US-Internetportal Axios berichtete derweil, dass US-Präsident Donald Trump die gegen Venezuela verhängten Strafmaßnahmen noch nicht weit genug gehen. Er habe in Gesprächen mit Offizieren gefordert, Kriegsschiffe der US Navy entlang der Küste des südamerikanischen Landes zu stationieren, um die Lieferung von Waren zu verhindern, heißt es in dem auf Wirtschafts- und Finanzfragen spezialisierten Portal unter Berufung auf eine namentlich nicht genannte Quelle. Das Pentagon habe den Vorschlag allerdings verworfen, weil eine solche Seeblockade praktisch nicht umzusetzen sei und zu viele Kräfte binden würde. Für den Wahrheitsgehalt dieses Berichts spricht, dass Trump einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge am 1. August öffentlich bestätigt hat, eine vollständige Blockade Venezuelas zu erwägen.

In Venezuela hofft man angesichts einer solchen Bedrohung auf internationale Solidarität. Hunderttausende Menschen haben bereits einen offenen Brief an UN-Generalsekretär António Guterres unterzeichnet, in dem die Vereinten Nationen zum Schutz des Landes aufgefordert werden. Unterschriftensammlungen unter den Appell wurden in den vergangenen Tagen unter anderem aus Indien, Benin, Russland, Kuba und El Salvador gemeldet. Auch in der Bundesrepublik kursiert der Aufruf. Listen liegen unter anderem in der jW-Ladengalerie (Torstr. 6, 10119 Berlin) aus. Die gesammelten Unterschriften sollen Guterres Ende September im Rahmen der UN-Vollversammlung in New York übergeben werden.

Erschienen am 20. August 2019 in der Tageszeitung junge Welt