Kurskorrektur

Kubas Präsident Raúl Castro hat am Sonntag vor dem kubanischen Parlament allen »selbsternannten Kuba-Analysten« eine Absage erteilt, die der Regierung in Havanna »kapitalistische Rezepte zur Wirtschaftslenkung« empfehlen. Alle seien sich einig, »uns zu schnelleren und tiefgreifenderen Veränderungen in Richtung auf einen Abbau des Sozialismus« aufzufordern, so Castro in seiner Ansprache vor den gut 600 Abgeordneten der Nationalversammlung der Volksmacht. »Offenbar sind wir mit der angehäuften Erfahrung von mehr als 55 Jahren revolutionären Kampfes auf keinem so falschen Weg. Wenn sie uns loben würden, dann hätten wir einen Grund, uns Sorgen zu machen«, scherzte er.

Castro unterstrich, daß die Einheit der kubanischen Revolutionäre sich auf »die umfassende sozialistische Demokratie und die offene Diskussion aller Angelegenheiten mit dem Volk, wie sensibel sie auch sein mögen«, gründe. Tatsächlich kündigte er in seiner Ansprache eine Reihe von Maßnahmen an, die er selbst als »strategischen und konzeptionellen Wandel« bezeichnete, um das kubanische Gesellschaftssystem »nachhaltig« zu gestalten. »Wir müssen für immer den Eindruck beseitigen, daß Kuba das einzige Land der Welt ist, in dem man leben kann, ohne zu arbeiten«, unterstrich der Präsident. Bis Anfang kommenden Jahres sollen deshalb im Staatsapparat »paternalistische Ansätze« überwunden werden, die es bislang überflüssig machten, für den eigenen Lebensunterhalt zu arbeiten. Das werde auch Auswirkungen auf Gehälter und Arbeitsverhältnisse haben, so Castro. Die gleichmäßige Bezahlung sowie langjährige Gehaltsgarantien für Personen, die nicht arbeiten, hätten »unproduktive Ausgaben« verursacht, die reduziert werden müßten.

Ausgedehnt werden soll hingegen die Arbeit auf eigene Rechnung, die so zu einer Beschäftigungsalternative für erwerbslos werdende Angestellte werden soll. Zahlreiche Verbote sollen aufgehoben und die Möglichkeit zur Anstellung von Arbeitskräften »flexibilisiert« werden. Zugleich kommen auf die Selbständigen neue Steuern und Abgaben zu, so für die Sozialversicherung, die Einkommensteuer sowie für die Anstellung von Arbeitskräften. Castro kündigte an, die Details dieser neuen Regelungen »in Kürze« mit dem Nationalrat des kubanischen Gewerkschaftsbundes CTC zu besprechen. »Ohne eine Steigerung von Effizienz und Produktivität ist es unmöglich, die Löhne zu erhöhen, die Exporte zu steigern und Importe zu ersetzen, die Lebensmittelproduktion zu steigern und schließlich die enormen Sozialausgaben zu schultern, die unserem sozialistischen System eigen sind«, unterstrich Castro. Niemand bleibe seinem Schicksal überlassen, »der sozialistische Staat wird die notwendige Hilfe für ein würdiges Leben leisten«, unterstrich Castro und meinte vor allem diejenigen, die nicht in der Lage sind, selbst zu arbeiten, und ihre Familie ernähren müssen.

Castro räumte ein, daß die Pläne für die Zuckerrohrernte sowie in anderen Bereichen der Landwirtschaft nicht eingehalten worden seien und machte dafür »Fehler der Führung« sowie die Folgen der monatelangen Dürre verantwortlich. Auch der private Stromverbrauch sei weiter und mehr als erwartet angestiegen, während es in den Behörden gelungen sei, diesen zu verringern. Die Balance zwischen den kubanischen Währungen – dem nationalen und dem konvertiblen Peso – bessere sich, die Zahl der nach Kuba kommenden Touristen steige und die Erdölproduktion erfülle ebenfalls die Erwartungen.

Mit Blick auf die Freilassung »konterrevolutionärer Häftlinge« unterstrich Castro, daß keiner von ihnen »für seine Ideen« verurteilt worden sei, wie es die »brutalen Verleumdungskampagnen gegen Kuba« glauben machen wollten. Alle Verurteilten hätten sich Vergehen schuldig gemacht, die nach den kubanischen Gesetzen zu bestrafen seien, und das zu einem Zeitpunkt – 2003 –, als der damalige US-Präsident George W. Bush Kuba direkt bedroht, zu einem »Regimewechsel« aufgerufen und sogar einen Beamten ernannt hatte, der Kuba nach der Besetzung verwalten sollte. Kuba habe in der Folge unter anderem auf die Entführung von Flugzeugen und Schiffen reagieren müssen. Nun aber könne die Revolution großzügig sein, »denn sie ist stark, ihre Kraft ruht in der mehrheitlichen Unterstützung durch das Volk, das all die Jahre den Aggressionen widerstanden hat«. Auch künftig werde es für die Feinde Kubas keine Straffreiheit geben, betonte er.

Die Abgeordneten beschlossen außerdem, am 1. Januar die bisherige Provinz Havanna aufzuteilen. Im Westen liegt künftig zwischen der Hauptstadt und der Provinz Pinar del Río die neue Provinz Artemisa, während im Osten zwischen Havanna und Matanzas die Provinz Mayabeque entsteht.

Erschienen am 3. August 2010 in der Tageszeitung junge Welt und am 4. August 2010 in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek