Kuba ist immer schuld

In großen Lettern titelte der US-Auslandsrundfunk Voice of America in der vergangenen Woche auf seiner Homepage: »UNO verlangt von Kuba Rechenschaft über Repression«. Was der Staatssender unter den Tisch fallen ließ: Es ging um eine Routinesitzung des Komitees gegen Folter beim UN-Hochkommissar für Menschenrechte (UNHCHR), die am 7. Mai begann und noch bis zum 1. Juni dauert. Die Reihenfolge der untersuchten Länder ergibt sich aus der alphabetischen Ordnung ihrer Namen in englischer Sprache – vor Kuba mußte sich Kanada den Fragen des Komitees stellen, nach der Insel folgten die Tschechische Republik und Griechenland. Doch Menschenrechte und der Kampf gegen Folter sind für solche Medien nur dann ein Thema, wenn es um Kuba und andere »Schurkenstaaten« geht.

Am 14. Mai stellte taz-Redakteur Bernd Pickert im Café des Gebäudes gegenüber dem Springer-Verlag Manfred Nowaks Buch »Folter – Die Alltäglichkeit des Unfaßbaren« vor. Da der frühere UN-Sonderberichterstatter nicht aus seinem Werk lesen wollte, werde er selbst einen anderen Text vortragen, kündigte Pickert an und griff zu einem Text der kubanischen Regierungsgegnerin Yoani Sánchez, den sein Blatt im Juni 2010 gedruckt hatte. Darin schrieb die Dame über angebliche Foltermethoden in kubanischen Gefängnissen.

In dem ganzen, mehr als 200 Seiten starken Buch Nowaks macht Kuba indes weniger als eine Seite aus. Tatsächlich hatte Havanna 2009 die Vereinten Nationen zu einer Inspektionsreise eingeladen, doch bis zum Ende von Nowaks Mandat 2010 kam diese Tour nicht zustande, wofür Kuba Terminschwierigkeiten anführte. Nowak vermutet hingegen, daß es ein Veto Fidel Castros gegeben habe, während dessen Bruder, der jetzige Staatspräsident Raúl Castro, einer Visite aufgeschlossener gegenübergestanden habe. Letztlich habe sich Kuba jedoch nur selbst geschadet, denn er sei überzeugt davon, daß der Karibikstaat ganz sicherlich nicht das Land in der Region sei, in dem es die schlimmsten Haftbedingungen oder Mißhandlungen gäbe, so Nowak.

Bei der UN-Tagung in Genf legte die vom stellvertretenden kubanischen Generalstaatsanwalt Rafael Pino Bécquer geleitete Delegation in der vergangenen Woche eine umfangreiche Stellungnahme über die Menschenrechtslage auf der Insel vor und beantwortete zudem detailliert Nachfragen der versammelten Experten. Im Berichtszeitraum zwischen 2007 und 2011 seien im Büro des Generalstaatsanwalts 263 Anzeigen wegen Übergriffen und Mißhandlungen in Gefängnissen oder Polizeiwachen eingegangen, hieß es in den Darlegungen. Die Untersuchungen hätten daraufhin zur Verurteilung von 46 Vollstreckungsbeamten geführt, die Opfer der Übergriffe seien entschädigt worden. Folter, willkürliche Festnahmen oder Geheimgefängnisse gibt es hingegen nicht, unterstrich Pino. Jeder Verhaftete oder Verurteilte habe Anspruch auf Rechtsbeistand, medizinische Versorgung und ein ordentliches Verfahren. Auch Arrestzellen seien sauber, hätten Tageslicht und sanitäre Einrichtungen. Niemand dürfe länger als 24 Stunden festgehalten werden, ohne einem Haftrichter vorgeführt zu werden. Die von der UNO geforderte Aufnahme von Folter als eigenem Tatbestand in das kubanische Strafrecht werde derzeit vorbereitet, doch bereits jetzt seien Mißhandlungen an Gefangenen durch mehr als zehn einzelne Kategorien mit Strafen belegt.

Pino kritisierte allerdings einige der von den Kommissionsmitgliedern angeführten Quellen als nicht glaubwürdig, darunter die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH), eine Einrichtung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) mit Sitz in Washington. Mit dieser habe Kuba keinerlei Beziehungen, da das Land nicht der OAS angehört. Anfang Mai kündigte Venezuelas Präsident Hugo Chávez einen Austritt seines Landes aus der CIDH an, weil sie ein Instrument der USA zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Länder Lateinamerikas sei. Wenige Tage später bestätigte das Parlament in Caracas diesen Vorstoß.

Erschienen am 29. Mai 2012 in der Tageszeitung junge Welt