Kriegsschauplatz Türkei

Mit »Terroristen« ist der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch in Ankara zusammengekommen, um über die seit fast zwei Wochen anhaltende Protestwelle zu sprechen. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, bestand die Delegation, die sich der islamisch-konservative Politiker eingeladen hatte, aus Studenten, Akademikern und Künstlern. Praktisch im selben Atemzug warf das Sprachrohr der Regierung den Protestierenden vor, »terroristischen Organisationen« anzugehören.

 

Das Taksim-Bündnis, das den Protest vor 17 Tagen begonnen hatte, um eine von der Regierung geplante Zerstörung des an den Platz im Zentrum Istanbuls angrenzenden Gezi-Parks zu verhindern, wies das Treffen am Mittwoch als Inszenierung zurück. Die Teilnehmer sprächen nicht für die Bewegung und gehörten ihr nicht an, erklärten Vertreter gegenüber der Hürriyet Daily News. Tatsächlich befanden sich unter den angeblichen Protestlern sogar Mitglieder von Erdogans eigener Partei AKP, berichtete Today’s Zaman. Es könne keine Gespräche geben, solange die Polizei weiter mit Gewalt gegen die Protestierenden vorgehe, unterstrich das Bündnis.

Am Dienstag und in der Nacht zum Mittwoch war die türkische Polizei mehr als 18 Stunden lang brutal gegen Hunderttausende Demonstranten vorgegangen, die sich auf dem Taksim-Platz versammelt hatten. Zahlreiche Menschen wurden verletzt; unbestätigten Informationen zufolge sollen auch mehrere Menschen getötet worden sein. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie die Wasserwerfer sogar Jagd auf Rollstuhlfahrer machten.

Solche Aufnahmen will die türkische Zensurbehörde, der Oberste Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK), künftig verhindern. Die Fernsehsender Halk-TV, Ulusal-TV, Cem-TV und Em-TV wurden wegen ihrer Berichterstattung über die Proteste mit Geldstrafen belegt. Die Liveübertragungen vom Taksim-Platz gefährdeten Kinder und Jugendliche, hieß es zur Begründung.

Unterdessen schwingen sich in Berlin die Bundestagsparteien zu Hütern der Menschenrechte auf. Auf Antrag der Regierungsfraktionen debattierte das Parlament am Mittwoch in einer »Aktuellen Stunde« über die Ereignisse in der Türkei. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) forderte dabei, die Modernisierung des Landes dürfe sich nicht auf die Wirtschaft beschränken. Die Protestbewegung sei die wohl größte Bewährungsprobe Erdogans seit seinem Amtsantritt. Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen kritisierte hingegen die fortgesetzte polizeiliche, militärische und geheimdienstliche Kooperation der Bundesrepublik mit Ankara. »Das ist meines Erachtens angesichts dieser harschen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei unverantwortlich. Diese Kooperation mit der AKP-Regierung muß beendet werden.« Dazu gehöre auch, die »Patriot«-Raketen der Bundeswehr aus der Türkei abzuziehen.

Die Verletzung des Demonstrationsrechts am vorletzten Wochenende in Frankfurt am Main bei der polizeilichen Einkesselung der »Blockupy«-Demonstration wurde nur durch mehrere Anfragen von Linke-Abgeordneten im Rahmen der Fragestunde behandelt.

Diskrete Unterstützung erhält Erdogan hingegen aus Israel. Wie die Hürriyet Daily News am Mittwoch meldete, traf am Montag in Ankara der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, Tamir Pardo, mit dem Vizechef des türkischen Geheimdienstes, Hakan Fidan, zusammen. Offizielle Themen der Unterredung waren die Lage in Syrien und im Iran – ob auch die Proteste vor der eigenen Haustür die Herren bewegten, wurde nicht bekannt.

Erschienen am 13. Juni 2013 in der Tageszeitung junge Welt